Thisisitgirl, Schaubühne

Zur Kritik von

Tagesspiegel 
Deutschlandradio 
 


Thisisitgirl, Schaubühne

Hier kommt der Mann auf die Couch

Leidet die Frau unter dem Penisneid oder ist der Mann nur eine unvollständige Frau, dem ein weiterer Arm am Chromosom fehlt? Für Frau Doktor (Iris Becher) ist die Sache rein professionell klar: Der Mann hat ein paar Sitzungen in ihrer Praxis nötig. Doch da die Männer ungern über Persönliches reden mögen, halten sie lieber Vorträge, während sie in der holzverkleideten Praxis Platz genommen haben. Der eine fachsimpelt über den Ödipuskomplex (Laurenz Laufenberg), der andere über die patriarchale Gesellschaftsstrukturen (Ulrich Hoppe) und der letzte (Andreas Schröders) analysiert sich selbst als Panther im Käfig. Die Frau muss sich derweil immer öfter ein Dosenbier genehmigen. Denn als alleinerziehende Mutter leidet sie kaum weniger als die Männer. Sie ist wütend. Aggressiv, laut und erfolgreich soll die moderne Frau sein. Attraktiv, sexerfüllt, karriereoptimiert. Doch woher für all diese Ziele die Energie nehmen? Das weiß sie ebenso wenig wie die Männer mit den Panikattacken in ihrem Ledersessel.
Wenn die Männer offenbaren, dass sie schöne zuhörende Frau als begehrenswertes Objekt wahrnehmen, versteckt sie sich gerne hinter wortreichen Erklärungen über Projektion. Nur bei dem jüngsten ihrer Patienten nimmt sie die Trennung weniger genau. Den verführt sie gerne. Was nicht bedeutet, dass sie ihn in ihre Pläne mit einbezieht. Erst im Nachherein erzählt sie ihm von ihrer Abtreibung des möglichen gemeinsamen Nachwuchses. Das schnulzige Liebeslied: „I had the time of my live“ wird in ihrem Duett folgerichtig zu einem Geschlechterkampf.
Regisseur Patrick Wengenroth hat seine Judith Butler gelesen. Ihre Theorie des performativen Gender wird hier auf der Studiobühne der Schaubühne zum Rollenspiel, in dem die Männer ihre versteckten Seiten ausleben können. Der eine darf seine feminine Seite in Damendessous zeigen, der nächste seine mütterliche in Grete-Kostüm und der älteste wird zu Peter Pan, der immer jünger wird und am Schluss in den Bauch seiner Mutter zurückkehren darf. Die vierte Generation des Feminismus einer Laurie Penny verkörpert Iris Becher als alleinige Herrscherin über all die Männer auf der Bühne sexy, selbstbewusst und dominant.
Der Abend über Frauen, über Fragen und über Frauenfragen lässt Theorien und Geschichten ineinander fließen. Auf sehr unterhaltsame Art liefert er Bekanntes in neuer Form mit vier tollen Darstellern und einem selbstironischen Musiker im albernen Einhornkostüm. Ein Mehr an Erkenntnissen wäre durchaus vorstellbar und wünschenswert gewesen, aber ein Mehr an Publikumsbespaßung kaum.
Birgit Schmalmack vom 7.4.16




 

thisisitgirl Foto: Gianmarco Bresadola

Woyzeck, BE
Väter und Söhne, DT

Druckbare Version