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Ist das noch Theater oder schon eine Beerdigung



In Zeiten der ständigen Selbstoptimierung kann man schon mal unter der Karriereleiter, die auf einen herabgefallen ist, zu Boden gedrückt werden. Der Rat, im Außen nach Lösungen zu suchen, überrascht die am Boden Liegende sichtbar. Hatte sie doch bisher nur im Innen nach Möglichkeiten der Verbesserung geforscht. Im Würgegriff der Erfolgsgrammatik, der die heutige Leistungsgesellschaft erfasst hat, lebt es sich nur vordergründig mit dem eigenen Ego im Einklang. Kreist der Mensch ständig um sich selbst, um in der Selbstverwirklichung den ersehnten Erfolg zu ergattern, so droht ihm die Erkenntnis, dass zwischen dem vermarkteten Selbst und dem Ich eine große Lücke klafft, die unüberbrückbar ist. Da mag man auch noch so sehr in der Verkündung des Ichs nach dem Wir suchen, nach der Aufmerksamkeit, die auch eine Anerkennung, eine Zuneigung und Gemeinsamkeit birgt. Alles nur eine große Show, könnte man denken. Erst recht, wenn sie auf einer Bühne stattfindet. Denn auch hier übt man sich eifrig in der Anwendung der Erfolgsgrammatik. Mit Hilfe des Zaubermittels der Sprache, konsequent in Gestalt von Monologen, die das Ich so wunderbar zur Geltung bringen können. Die drei Spieler:innen (Emma Rönnebeck, Bettina Grahs und Felician Hohnloser), die Malte Schlösser hier auf die Bühne schickt, machen das jede:r auf ihre Weise, die eine als ernste, sprachverliebte Sinnsucherin, die nächste als permanente, sprunghafte Selbstinfragestellung und der letzte als Ratloser und Rastloser auf der Suche nach der richtigen Position auf der Bühne, auf der er endlich gehört werden kann. Die weiße Wand hinter ihnen warnt derweil: Bitte nicht anfassen! Sie sind zerbrechlich, genau wie die Wand, die nur aus Papier besteht und durch die man bei Bedarf hindurchbrechen kann. Sie existiert genau so wenig wie die vierte Wand zu den Zuschauenden, wenn die Spieler:innen immer wieder versuchen, mit dem Publikum Kontakt aufzunehmen.

Wenn die Ausbeutung des Ichs für die Erfolgsbiographie unumgänglich wird, dann wird die Vorspiegelung von Wahrhaftigkeit zum ständigen Objekt der Begierde. Wenn dann die eigene Seele leergespielt ist, wünscht man sich vielleicht einen Aufenthalt in einem Kurhotel mit einem Zimmer zum Heulen. Doch wenn diese gerade ausgebucht sind, bleibt einem manchmal nichts anderes übrig, als in hysterischen Lachen auszubrechen, wenn einem doch eigentlich zum Weinen zu mute ist. Da helfen dann auch 42 Jahre Therapie nichts mehr.

Der sprachmächtige und anspielungsreiche Abend (Text von Malte Schlösser) nimmt gekonnt nicht nur alle Klischees um die Künstler:innen an sich und die Bühnenartisten im Besonderen aufs Korn, sondern auch die der Zuschauenden, die sich dieser Kunstform annehmen. Er dekonstruiert nicht nur die Mythen um die Kunst und das Theater sondern auch um den Erfolg. Ist das Scheitern nicht so viel interessanter und ertragreicher? Denn was kommt nach dem errungenen Erfolg?

Zum Schluss verlieren sich die Grenzen zwischen behaupteter Authentizität und Fiktion und auf der Videoleinwand endgültig. Da verschwimmen die Performer:innen mit ihren rotgeweinten Gesichtern in amorphen Glitches mit der Umgebung. Sie verschwinden buchstäblich in ihrer Kunst und lösen sich mit all ihren Emotionen in den Hintergründen auf. Als die Leinwand umfällt, sitzen die Drei am Rand und blicken auf die nun leere Bühne. Was bleibt von ihnen, wenn das Licht verlischt? Dieser Abend über das Scheitern gelingt. Denn er hat etwas zu sagen. Und er tut das mit Hilfe von drei hervorragend präsenten Performer:innen, die die Balance zwischen Slapstick, leiser Ironie, Schweigen und Endlosmonologen bestens beherrschen.

Birgit Schmalmack vom 10.03.24

Abbildung: IN:KON:SIS:TEN:ZEN, Monsun - © Milena Schlösser

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