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Der schwarze Mönch, Thalia

Das männliche Genie?



Warum lebt man? Für den Einen ist es die Kunst, für die Andere die Liebe zu einem Mann, für den Vater Pessozkij (Bernd Grawert) ist der Lebenssinn in seinem Garten zu finden. Er ist ein Gärtner aus Leidenschaft. Doch er hat eine Tochter (Viktoria Miroschnichenko,). Wird sie sein Lebenswerk fortführen? Da hat er seine Zweifel, also ist er auf der Suche nach einem Ehemann für sie, mit dem sie dann einen Sohn zeugen kann, den er zu einem Gärtner machen könnte. Schade nur, dass dieser Plan nicht aufgehen wird.
Denn dieser Ehemann in spe hat ganz andere Pläne. Er heiratet zwar die Tochter, aber entführt sie in die Großstadt, denn er ist ein Dichter, alles andere als ein Gärtner-Vater. Das ist nur der erste Durchlauf von vieren der Kurzgeschichte "Der schwarze Mönch" von Tschechow, die Kirill Serebrennikow im Thalia auf die Bühne bringt.
Der zweite stellt den Dichter (Mirco Kreibich) in den Mittelpunkt. Er suchte das Landleben als Inspirationsquelle für seine Kunst. Das Unverbrauchte der einfachen Menschen, zu denen er auch seine Frau zählt, erfüllte einige Zeit seinen Zweck, doch verbrauchte sich schnell. Auf keinen Fall wollte er so langweilig werden wie sie, auf keinen Fall ein "Strauch", den sein Schwiegervater im Garten so schätzt. Andrejs Fantasie, seine Kreativität, sein genialer Wahnsinn überfordert jedoch seine Landleute. Sie attestieren ihm eine Krankheit, die der psychiatrischen Heilung bedarf. Zum Schluss ist er zwar geheilt, aber ein Strauch wie alle anderen geworden. Winterhart, resistent, aber komplett langweilig.
Aus der Sicht seiner Ehefrau Tanja, die als gealterte Frau (Gabriela Maria Schmeide) Rückschau hält, sieht das Ganze noch einmal anders aus. Sie verliebte sich in diesen Mann, der ihrem Alltagslandleben Frische und Exzentrik verlieh, doch eine tiefe Verbindung zwischen den Beiden kann nie zustande. Sie stand in seinem Schatten, war in der dienenden sorgenden Rolle verhaftet und musste dabei immer noch ihr schlechtes Gewissen wegen ihres verlassenen Vaters mit sich herumtragen.
Die letzte Perspektive ist die des Schwarzen Mönches. Er ist der imaginierte Geist, der in Andrejs Kopf herumgeistert. Der ihn antreibt, der ihn anregt und doch nur ein Hirngespinst ist. Doch besser ein Hirngespinst als nur Strauchwerk im Kopf. Geheilt aber wofür? Damit alles Strauchwerk dem Erdboden gleich gemacht wird? So wie das Bühnenbild, das zunächst aus drei Gewächshäusern besteht, die zum Schluss jedoch auf den Kopf gestellt werden und auseinander brechen?
Alles auf den Kopf stellen, alles genau durchleuchten, das tut Serebrennikow, indem er die Kurzgeschichte von Tschechow uminterpretiert und genau analysiert. Aus dem Wissenschaftler macht er einen Künstler, der scheinbar dem Wahnsinn verfällt, dann von der Gesellschaft geheilt wird und damit nur auf ein Mittelmaß heruntergestutzt wird. Ob es nun ein bedingungsloses Plädoyer für die Freiheit der Kunst ist, zur Not auch die des Wahnsinns, bleibt dahingestellt. Er lässt in seinem dreistündigen Kunstwerk der sich immer weiter drehenden spiralförmigen Erkundung eine Geschichte mit vierfacher Wiederholung viel Raum für eigene Interpretationen und Sichtweisen. Zumal er durch die drei Sprachen Deutsch, Russisch und Englisch auch zugleich unterschiedliche kulturelle Prägungen mit einfließen lässt. So erbaut und zerstört er die Fantasiehäuser der Kunst auf der Bühne in einem ständigen Prozess der Transformation. Das fantastische internationale Ensemble auf der Bühne macht den Abend zu einem Fest der Schauspielkunst.
Birgit Schmalmack vom 18.5.23

Abbildung: Der schwarze Mönch, Thalia - Foto Krafft Angerer

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