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War die Geburt bis ins späte 18. Jahrhundert ein Feld, das komplett den Frauen überlassen wurde, so interessierten sich im Zuge der Aufklärung und der zunehmenden Bedeutung der medizinischen Wissenschaft auch die Männer für dieses unbekannte Terrain. Mit allerlei technischem Gerät versehen stürzten sie sich auf das neue Forschungs- und Erkundungsgebiet. Das heißt in diesem Fall, sie stürzten sich auf und in den Frauenkörper. Da sie zu dieser Zeit über keinerlei Sichtbarmachungstechnik des Innenlebens verfügten, näherten sie sich durch die Körperöffnungen von außen. Das ging am besten bei Frauen, die ihnen schutzlos ausgeliefert waren und keine Fürsprecher hatten, also Frauen, die ungewollt und unehelich schwanger geworden waren. Immer noch besser als zu den Engelmacherinnen zu gehen, um das Kind mit ihrer Hilfe abzutreiben. In den Geburtsanstalten wurden den Frauen dagegen angeboten, das sie hier ihr Kind kostenlos zur Welt bringen konnten. Doch sie bezahlten mit ihrem Körper. Als Gegenleistung mussten sie ungefragt ihren Körper als Forschungsobjekt für Praktikanten und Medizinstudenten zur Verfügung stellen. Sie ermöglichten so das Studium der Männer am lebenden Objekt und das in Zeiten der großen sexuellen und geschlechtlichen Scham. Die bisher tätigen Hebammen wurden derweil komplett aus ihrem ehemaligen Wissensgebiet verdrängt. Ihr Erfahrungsschatz war nun nichts mehr wert. Ab jetzt übten die Männer ihre Macht auch in diesem Bereich über die Frauen aus, sowohl über die Gebärenden wie über ihre Geburtshelferinnen.
Davon berichtet Cora Sachs in ihrem zweiten Teil der "Anatomie der guten Hoffnung". Ihr Protagonist ist dabei der Leiter einer dieser Geburtsanstalten. Versehen mit Strubelhaarmaske führt er das Publikum voll Stolz durch die imaginierten Räume seiner Anstalt und preist wortreich ihre Vorteile. Doch worum es eigentlich geht, offenbart er ganz eindrücklich, nachdem er den riesengroßen Kissentorso mit expliziter Vulvaöffnung auf die Bühne gezerrt hat. Kopfüber stürzt er sich voll Forscherlust in den Frauenkörper durch ihr Genital in ihr Inneres hinein und wühlt sich mit seiner ganzen Manneskraft durch ihre Innereien. Als er wieder einmal in sie hineingreift, bekommt er ein rotes Bluts-Tau zu fassen. Schnell stopft er es zunächst voll Schreck wieder hinein. Doch als Geburtsvorgang bereits in vollem Gange ist, aber nicht ganz nach Zeitplan des Arztes verläuft, greift er wieder beherzt hinein und zieht nun kräftig an dem Tau, bis er zwei Enden bis in die Publikumsreihen befördert hat. Nun heißt es ziehen. Gewalt im Kreißsaal, so sah sie aus.
Nach dem Schauen dieser berührenden Theaterarbeit von Cora Sachs, die unter die Haut gehen, weil sie jeden und jede in der ein oder anderen Form betreffen, ist der Redebedarf groß. Das Gesehene kann niemanden kaltlassen, auch weil Cora Sachs ihre Bühnen- und Maskenbilder so expressiv sprechen und der Soloperformer Pablo Konrad in ihnen ganze Räume entstehen lassen kann.
Birgit Schmalmack vom 12.5.23
Abbildung: Trilogie der guten Hoffnung, Teil 2 - © G2 Baraniak