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„Ich habe für euch recherchiert.“ In immer neuen Youtube-Videos verrät der selbsternannte Aufklärer seinen Zuschauer*innen die Wahrheit über die tieferen Zusammenhänge der Welt. Ob es die Bedeutung der Zahl 23 oder das Vorkommen von Vanadium ist. Die wahren Hintergründe über die Verbreitung des Virus. Die Verstrickung des Finanzmarktes mit der fortschreitenden Digitalisierung. Die Verbindung Merkels mit den dunklen Mächten. Er ist in einer großen Mission unterwegs. Wo die Lebenswirklichkeit immer undurchschaubarer geworden ist, sind einzelne aufgerufen, Ordnung in das Meinungschaos zu bringen. Scheinbar sind alle Informationen so leicht zu erreichen, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Überlegenheitsgefühle mischen sich mit der Suche nach einfachen Lösungen. So zieht sich der Mann in seine Wohnung zurück und hat schlicht für alles andere keine Zeit mehr. Weder für einen Job, für eine Beziehung oder für Freunde. Seine Freundin hat sich von ihm verabschiedet, was sein romantisches Alter Ego, das Einhorn, sehr bedauert. Doch schließlich gibt es noch den anderen Teil seines Selbst, der sich in Gestalt von Darth Vader zu Wort meldet, er zieht ihn wieder seinem düsteren Weg zurück.
Als sich seine Freundin erneut zu einem zweiten Rettungsversuch unten an der Tür meldet, wittert das Einhorn eine neue Chance. Doch vergeblich. Der Mann hat Wichtigeres zu tun, als die Sonne zu genießen. Er vergräbt sich in seinen zerschredderten Rechercheschnipseln.
Der Theatertext von Stephan Thiel und Christoph Schüchner operiert mit Wortverdrehungen, die geschickt vortäuschen, den tatsächlichen Zusammenhängen auf die Spur zu kommen. Er lässt Verbindungen aufscheinen, die von der Vermischung von Anteilen von Fakten mit Spekulationen leben. Geschickt kann man als Zuschauer*in en passant Vermutungen zur Psyche des Aufklärers anstellen.
Die einbauten Songs weisen in eine Zeit der amerikanischen Hippiebewegung, in der auch eine weltverändernde Bewegung entstand. Doch soviel ist sicher: Dieser einsame Mann wird eine solche Bewegung des freien Denkens, Lebens und Liebens nicht ins Leben rufen können. Seine Verbindung zur Welt existiert nur virtuell.
Der Abend thematisiert im Zuge seiner vergnüglichen "Verschwörungstherapie" Entwicklungen, die für die Demokratie gefährlich sind. Noch eindrucksvoller wäre er gewesen, wenn Thiel und Schüchner sich auf ihre Hauptfigur verlassen und die erzeugte Spannung nicht durch das Ausweichen ins Gelächter über Einhorn und Darth Vader erlaubt hätten.
Birgit Schmalmack vom 15.9.20
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