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Der unzulängliche Mensch
Edgar Allen Poes Kurzgeschichte „Der rote Tod“ wirkt wie geschrieben für diese Zeit. Eine Gesellschaft wird konfrontiert mit einer Pandemie und zieht sich in ein Schloss zurück, wo sie sich bei immer neuen Vergnügungen der Illusion hingibt, dass ihr hier der Tod nichts anhaben kann.
Das Ensemble "Theaterstaat" hat auf Grundlage dieser Vorlage, in dessen Schloss es sieben Säle gibt, sieben Räume in der Brotfabrik gestaltet, die sich mit unserer Gegenwart und unserer möglichen Zukunft beschäftigt.
Im ersten Raum wird ersteinmal die Geschichte unter Auslassung des Endes vorgelesen. Danach geht es in die Toilette. In der Duschkabine spielt eine Clownin einen von seinen Trieben fremdgesteuerten Mann. Die Bewegungen seiner unteren Körperhälfte kann man schon nicht mehr zweideutig nennen. Sie unter Kontrolle zubringen, gelingt ihm auch unter Zuhilfenahme drastischer Maßnahmen nicht.
Dann geht es die Treppe hoch in einen Spiegelsaal, in dem zwei stumme Wesen den zwei Besucher*innen den Weg durch das Spiegellabyrinth weisen. "Erkenne dich selbst" ist hier das Motto, wenn die verschiedenen Positionen zwischen den vielen Spiegeln immer neue Perspektiven auf die eigene Person erlauben. Eine sinnliche Erfahrung, die einen reichen Assoziationsraum eröffnet.
In der Garderobe darf man danach auf eine Traumreise gehen. Man darf sich seinen Weg ausmalen, ein Requisit aus der Vergangenheit imaginieren und zum Schluss entscheiden , ob es eher in die Zigarettenschachtel der Vergangenheit oder die der Zukunft gehört.
Im Hof begegnet man einer lächelnden Archivarin des Wissens, mit der Ausstrahlung eines Buddhas und vielen Weisheiten. Gemeinsam mit ihr kann man über den Zustand der Welt, möglicher Fehlentwicklungen und der eigenen Verantwortung sinnieren.
Auf der Treppe darf man anschließend einem Mann dabei zusehen, wie er durch seinen Alltag hetzt und schließlich mit dem Spielzeughammer das Essen umrührt, sein Kind mit dem Handy streichelt und dabei pausenlos Chips in sich hineinfuttert.
Im nächsten Raum wird man direkt mit den Ausmaß der menschlicher Grausamkeit konfrontiert. Auf der Leinwand ist ein Zusammenschnitt aus Doku-Schnipsel von Abschlachtungen von Tieren, Müllbergen, Flüchtlingselend und Naturzerstörung zu sehen. Schwer erträglich! Der Buzzer könnte helfen, rät die Performerin. Doch wenn er betätigt wird, springt sie nur auf und tanzt wie zur Verzierung ein paar Pirouetten vor der Leinwand. Bis auch dieser Ablenkungsservice nicht mehr funktioniert. Was jetzt?
Die Frage stellt sich unwillkürlich.
In der vorletzten Station, die wieder im Bühnensaal mit allen Zuschauer*innen stattfindet, ist ein Mann scheinbar mit sich alleine. Nein, nicht ganz, er hat sich ein virtuelles Gegenüber erschaffen, das genauso aussieht wie er selbst. Doch sein Avatar auf der Leinwand widersetzt sich plötzlich den Befehlen der Fernbedienung und übernimmt selbst die Kontrolle über seinen Erschaffer. Zum Schluss liegt dieser tot am Boden. Diese starke Szene der Selbst-Inszenierung erzählt damit gleichzeitig geschickt das Ende von "Der rote Tod."
Doch so düster soll dieser Abend nicht enden: Während zwei Performerinnen scheinbar absichtslos ihren eingängigen Song "Wie weit sind die Sterne" im glitzernden Partyoutfit trällern, flimmern Bilder von Galaxien über die Leinwand. Die Weite des Universums lässt den Mensch mickrig erscheinen.
Mit dieser performativen Installation in sieben Räumen regt "Theaterstaat" auf sehr unterschiedliche Weisen zum Innehalten und zum Nachdenken an. Mal witzig, mal besinnlich, mal esoterisch, mal ermahnend, mal direkt, mal unterschwellig, mal poetisch. Nicht alle Ideen bewegen sich auf gleichem Niveau. Doch ihre Botschaft wird klar: Wenn der Mensch nicht seine Verantwortung für diese Erde erkennt und sein Verhalten verändert, wird die Natur überleben, aber er wohl kaum.
Birgit Schmalmack vom 18.8.20
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