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Wismut. A Nuclear Choir – Schauspiel Leipzig
Untergründige Bedeutungsebenen
Radioaktivität ist eine komplexe Erscheinung und schwer auf einer Bühne zu zeigen. Wie macht man etwas erfahrbar, was nicht sichtbar ist? Wie sind Auswirkungen in Bilder umzusetzen, wenn sich die Ursachen sich erst zeitversetzt rekonstruieren lassen?
Auch der Bergbau ist nicht sichtbar. Er gräbt Verknüpfungsnetze in den Untergrund, die oben meist nicht zu erkennen sind. Doch Spätfolgen sind auch hier nicht ausgeschlossen. Er sinnt auf die Ausbeutung der Erde für die Zwecke der Menschen. Doch wo er praktiziert wird, ist in der Regel eine starke Identifikation der Beschäftigten mit dieser Arbeit zu verzeichnen. Bergbauregionen haben verbindende Riten, die Gemeinschaften formen. Wenn beide Aspekte wie in Wismut, wo im Tagebau Uran abgebaut wurde, zusammenkommen, wird die Beschäftigung mit dieser Thematik umso komplexer.
So ist es klar, dass sich auch der Abend von Jule Flierl und Mars Dietz es sich und den Zuschauern nicht einfach machen werden. Das macht dann die kryptische Eingangsszene sofort deutlich. Drei Performer sitzen sich gegenüber und hauchen, stöhnen, brechen, atmen sich Bruchstücke eines unverständlichen Textes in die leere Mitte zwischen ihnen. Das es sich hier um ein Gedicht, dass das Uran als "Erz des Friedens" beschreibt, handelt, erfährt man erst aus dem Programmheft. Die Sieger-, Arbeiter- und Abwehrposen, die die Performer danach einnehmen, verwirren auch eher als das sie erhellen. Dann kriechen die drei Performer unter drei Stuhlreihen und lesen aus dem Untergrund Info-Texte über den Uranabbau vor. Doch auch hier wird durch ihr zeitversetztes Stimmengewirr und die eingestreute Übersetzung ins Englische das Verständnis erschwert.
Das passt zweifellos zum Thema, fordert dem Zuschauer aber viel Geduld ab. Danach tauchen weitere Kumpanen mit Grubenleuchten auf. Sie formen eine Gruppe, die sich Gipsarme greift und gemeinsame Riten im Kreis vollzieht. Dass es hier um Volkstänze aus Bergbaugebieten handelt, wird erst später aufgelöst. Dennoch versteht man hier die Bewegungen. Mit den verlängerten Körper wird gegraben, gestoßen, gebohrt, die Gemeinschaft geschaffen und die Zusammenarbeit gestärkt.
Erst die beiden letzten Sequenzen der Performance erlauben den Zuschauern endlich einen direkteren Zugang. Unten in einem fahrbaren Podest liegend trägt die Dramaturgin und Performerin Luise Meier eine schier endlose Folge von Fantasie-DDR-Bürokratensprech-Hülsen vor, während oben eine andere wie eine Heldenstatue durch den Raum geschoben wird. Sie spricht von "Arbeiterförderwerk der Parteimassenkultur", vom "Massenentwicklungsnutzung", von "Arbeiteraktionsplanraten" und ähnlich abstrusen Wortungetümen, hinter denen sich ein Staat verstecken wollte. Das ist eine Szene, die sofort Assoziationen weckt. Danach wird es noch konkreter: Jule Frierl erzählt zu ihren sich kontinuierlich durch den Raum schraubenden Bewegungsabwicklungen von ihrem Großvater, der im Wismut arbeitete. Ein glühender Stalinist, der sich über das heutige Umweltbewusstsein seiner Enkelin nur wundern kann. Ihm ging es darum mit seiner Arbeit unter Tage sein sozialistisches Land im Kalten Krieg gegen den imperialistischen Klassenfeind zu rüsten. Frierl berichtet gekonnt lakonisch vom Zusammenprallen der DDR-Politik mit ihrer eigenen Familiengeschichte, wenn sie von Gesprächen mit Tante Ute oder Oma Bärbel erzählt.
Die Performerinnen machen es ihren Zuschauer nicht leicht. Sie erlauben keinen einfachen Zugang zu dem hochkomplexen Konvolut aus Naturausbeutung, Sozialismus, Klassenfeindaufrüstung, Bergbautraditionen, Radioaktivität, grenz überschreitende Folgewirkungen und Familienbeziehungen. Sie verweigern sich bewusst einer klaren Aussage und überlassen den Zuschauern seinen eigenen Eindrücken, die erst langsam wie die untergründigen Verknüpfungen des Bergwerkstollen einen Sinn ergeben.
Birgit Schmalmack vom 14.10.19
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