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Gefangen im ewigen Kreislauf der Gene
Noch kreischen quieken und rangeln sie fröhlich, die drei Riesen-Babys in ihren kurzen Plüschoveralls. Ihre Welt ist beschränkt auf die weiße Flockenwelt inmitten des weißen Vierecks. Schon bald stellt es sich als Eiswüste ihrer Familie dar. Unschuldig hineingeboren sind sie in die Verstrickungen, Verfehlungen und Gestörtheiten ihrer Vorfahren. Während sie sich in die Aufrechte der Erwachsenenwelt hocharbeiten, liefern sie schon eine Beschreibung ihres Herkunftsortes ab. Herrschaftlich war die Villa einstmals. Doch in den oberen Stockwerken haust mittlerweile der verurteilte Finanzbetrüger und Exhäftling John Gabriel Borkmann und dreht unermüdlich seine Kreise zur Verarbeitung seiner Taten, Demütigung und Verluste. Unten wartet Frau Borkmann auf die Zeit ihrer Genugtuung durch ihren Sohn Ehrhard. Auf den setzen aber auch noch zwei andere Frauen ihre Hoffnungen: seine Tante Ella, bei der er aufgewachsen ist, und seine Geliebte, Madame Wilton.
Jungregisseur Daniel Förster von der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg braucht für seine Inszenierung des Dramas „Borkmann“ von Ibsen nur drei Darsteller. So stellt er die familiären Wurzeln in eine spannende Entwicklungslinie. John Gabriel wird zu Ehrhard. Frau Borkmann zur Geliebten ihres Sohnes und Tante Ella verjüngst zur Nachbarstochter, zu der John Gabriel eine enge Beziehung pflegt. Das stellt das tiefenpsychologische, naturalistische Stück in eine neue Sicht. Das Schicksal der Prägung siegt über die individuelle Veränderungsfähigkeit des Menschen. Immer auf einem sehr hohen Erregungslevel switchten die tollen Schauspieler zwischen ihren Rollen im rasanten Wechsel hin und her. Dabei kamen leider die leisen Töne zu kurz.
Da hat jemand den Blues
Ganz bluesig wird es am Ende des ersten Abends. Die Frau mag nach dem Ende ihrer Liebe nur noch Blaues. Der eine Mann trauert seinem Freund hinterher, der seinem Leben eigenmächtig Ende setzte. Und der andere Mann liebt statt einer Frau lieber eine Gitarre, mit der er den Blues wunderbar intonieren kann. Die Drei experimentieren mit Geräuschen aus Reis, Luftschlangen und Plastikflaschen herum, tragen an den Mikros ihre kurzen Texte in Wiederholungsschleifen vor und gucken traurig. Das ist sehr stimmungsvoll von der Regisseurin Jana Vetten gemeint, ergibt aber eher ein work in progess als eine fertige Inszenierung.
Birgit Schmalmack vom 24.5.14
Verführungskunst
„Herzlich Willkommen zu unserem Reisevortrag über die Oberlausitz. Auf unserem mitgebrachten Video sehen Sie...“ Doch die Leinwand bleibt leer. Die Zuschauer sehen nichts und dennoch beginnen zu dem Erzählten Bilder im Kopf zu entstehen. Gleichzeitig aber auch die Irritation: Sind die Vier wie behauptet überhaupt unterwegs gewesen?
Im zweiten Anlauf nach der zweiten Begrüßung werden dann die „Beweise“ in Form von verwackelten Laienaufzeichnungen nachgeliefert, doch gleichzeitig schleichen sich in den Bericht kleine inhaltliche Veränderungen ein. Das Spiel mit der Authentizität hat begonnen und nimmt im Laufe des Abends immer weiter an Fahrt auf. Scheinbar dokumentarische Reiseberichte werden gebrochen mit fiktionalen Elementen. So wird das Verschwinden der Lausitzer Dörfer durch den Braunkohleabbau zu einem Verschwinden der Zivilisation, dann der Nation und schließlich der Bühne. Die Zuschauer werden aufgefordert, die Seiten zu wechseln und sich auf die Bühne zu setzen. Unter der Tribüne steigen durch die Ritzen der Stühle Nebelschwaden auf, in deren Gegenlicht die „Wilden“ über die Reihen auf die Bühne steigen und sich unter die Zuschauer mischen. „Es bleibt ein großes Versprechen“, ist auf einem Laufband über der Tribüne zu lesen. In dem kompletten Verschwimmen der Grenzen von Realität und Fiktion ist nun alles möglich.
Birgit Schmalmack vom 25.5.14
Abbildung: Steppengesänge - Das Gewinnerstück aus Hildesheim beim diesjährigen Körberstudio Junge Regie
Drei Fälle aus der Anstalt
Eine Pappwand markiert den Rand des Horizonts. Voller Löcher ist sie. Nebelschwaden und Lichtkegel dringen bedrohlich durch sie hindurch. In die abgeschlossene Welt der Psychiatrie wird Elisabeth M. wird eines morgens abgeführt. Unvermittelt wird sie ihres Amtes als Grundschullehrerin enthoben und als Gefahr für die Gesellschaft eingeschätzt. Wenige Tage später ist sie tot. Dieser historische Fall wurde von Ödon von Horvath in einem Dramenfragment bearbeitet. Erinnerungen mit den Abläufen in Franz Kafkas „Prozess“ drängen sich auf. Ein weiterer Fall M. kommt hinzu: Gustl Mollath saß sieben Jahre ungerechtfertigt in der Psychiatrie fest, laut eigener Aussage weil er seine Ex-Frau der Geldwäsche bezichtigen wollte.
Jungregisseur Florian Fischer von der Otto-Falckenberg Schule in München verknüpft in seiner beziehungsreichen Inszenierung diese drei Fälle aus der Anstalt. Er stellt damit die Frage nach dem Umgang einer Gesellschaft mit nicht ganz normgerechten Individuen. Erzeugt sie erst den Wahnsinn, vor dem sie sich schützen möchte? Dass er dabei den Wahnsinn auch in hysterischen Anfällen, clownesken Verrenkungen und Schreikrämpfen zur Schau stellt, erhöht zwar das theatralische Effektniveau aber nicht unbedingt den Erkenntnisgewinn.
Birgit Schmalmack vom 27.5.14
Abbildung: Der Fall M. - von Florian Fischer
Zwang zum Kollektiv
Zu Technorythmen marschieren die Popsoldaten in Reih und Glied wohlgeordnet auf der Bühne auf und ab. Solange bis einer ausschert. Sofort wird diese Eigenwilligkeit mit einer Fußfessel und von den anderen mit dem kompletten Ausschluss bestraft. Philoktet heißt der junge Mann in dem antiken Drama von Sophokles, der hier von einer Frau gespielt wird. Eigentlich tut er seinen Dienst in der griechischen Armee, bis er als untauglich aussortiert und zehn Jahre lang auf eine einsame Insel verbannt wird. Bei der Jungregisseurin Sapir Heller von der Theaterakademie August Everding aus München wird zum Sinnbild für den absoluten Drill einer Konformitäts-Gemeinschaft, die gnadenlos über Zugehörigkeit oder Ausschluss entscheidet. Sie verbindet dies mit einem besonders kritischen Blick auf den Zwang zur Uniformität in Militäreinheiten aufgrund ihrer eigenen Erfahrung als israelische Kriegsdienstverweigerin. Ein ironischer Werbeblock für die polnische, österreichische oder israelische Armee macht das mehr als deutlich. Doch auch die Popkultur, die eigentlich als Aufbegehren gegen gesellschaftliche Geschmacksnormen gedacht war, bleibt vor Hinterfragungen nicht verschont. Die Geschichte um Philoktet gerät dabei so sehr in den Hintergrund, dass sie sich unerfahrenen Zuschauern wohl kaum erschließt. Dabei überschwemmt eine eindrucksvolle Flut an Ideen nebst Flüssigkeiten und Gerüchen die Bühne und das Publikum.
Birgit Schmalmack vom 27.5.14
Abbildung: Jungregisseurin Sapir Heller -
Die Kunst der Selbstvermarktung
Selbstvermarktung ist das Thema. Schon in den neunziger Jahren schrieb Falk Richter ein visionäres Stück darüber, was in Zeiten von Facebook und Youtube schon zum Alltag geworden ist. Dennoch ist „Gott ist ein DJ“ immer noch sehenswert. Regisseurin Janne Nora Kummer von der Hochschule Ernst Busch aus Berlin bedient sich aus der reichen Szenenauswahl und stellt eine performanceartige Show der medialen Absurditäten aus. Auf dem Zauberwürfel von einst ist eine nicht zu lösende Formation des eigenen Lebens geworden. Er dient zur Webcamkammer und zum TV-Showpodest. Auf engsten Raume hat sich das Künstler-Pärchen zur Selbstvermarktung als Kunstprojekt freigegeben. Dass sie dabei nur zu Puppen ihrer eigenen Show, zu Versatzstücken aus dem täglichen Medienkonsumalltag werden, scheinen sie gar nicht zu merken. Intimität Fehlanzeige! Die Frage nach dem gemeinsamen Kind erübrigt sich zum Schluss. Welches Kind?
So wird das Stück zur Schnipselparade, die es gerade hinterfragen will.
Birgit Schmalmack vom 27.5.14
Abbildung: Gott ist ein DJ - Regie Janne Nora Kummer Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin
Achtung Falltüren!
Das Bühnenbild sagt schon viel. Statt klappender Türen, die die Schauspieler im perfekten Timing ausspucken und wieder verschwinden lassen, hat die Bühnenbildnerin eine Podestebene gebaut, in der Falltüren eingebaut sind. Die leere Ebene symbolisiert sogleich die Leere der bürgerlichen Fassade und offenbart die Fallhöhe ihrer Existenz, wenn sie ins Wanken gerät. Und das ist bei Monsieur Lenglume der Fall. Eines Morgens erwacht er nach einer durchzechten Nacht mit einem unbekannten Mann, geschwärzten Händen, einem Zopf in der Tasche, ohne seinen Regenschirm und einer Gedächtnislücke. Als seine Frau dann der Zeitung von dem Mord an einer Kohlenhändlerin, bei der ebendieser Regenschirm gefunden worden ist, vorliest, scheint der Fall klar. Fortan ist die Vertuschung der möglichen Tatsachen oberstes Gebot. Vor keinen noch so drastischen Konsequenzen schrecken die beiden zurück. Dabei merken sie nicht, dass sie das Leben, was sie noch zu schützen gedenken, durch den zweiten oder dritten Mord erst recht in den Abgrund reißen.
Die bittere Komödie „Die Affäre“ von Eugene Labiche verlangt hohe Aufführungskunst. Das hat der junge Regisseur Nicolas Charaux vom Wiener Max Reinhardt Seminar mit seinem Ensemble mit hoher Präzision erarbeitet. Wenn sie auch manchmal in ihrem Versuch die Labilität der bürgerlichen Existenz zu entlarven etwas übers Ziel hinausschießen, so war ihre professionelle Beherrschung der harten Boulevardkunst in jedem Moment beeindruckend.
Birgit Schmalmack vom 27.5.14
Abbildung: Die Affäre Rue de Lourcine - vom Wiener Max Reinhardt Seminar
Eine philosophischen Vampir-Siencefiction-Satire
Ein Highlight hatten sich die Programmplaner bis zum Schluss aufgespart. „Die Versenkung des Atom-U-Boots Kursk durch den Feigling Steven Jobs“ spielt so gekonnt mit dem Zusammenprall unterschiedlicher Genres, dass es ein Hochgenuss war dem Team um Autor und Regisseur Timo Krstin von der Zürcher Hochschule der Künste bei ihrer philosophischen Vampir-Siencefiction-Satire zuzuschauen. Wie die auktoriale Erzählerin ihr Autoren-Alterego auf den Grund des Baikalsees schickt, um eine illegale Zwangsarbeitsfabrik von Apple zu enttarnen und dabei auf von Hollywood aussortierte Vampirdarsteller trifft, ist so herrlich verschrubbelt diskursiv und absurd ironisch, dass keine Sekunde Langeweile aufkommt und dennoch nie der Intellekt beleidigt wird.
Birgit Schmalmack vom 27.5.14
Abbildung: Die Versenkung des Atom-U-Boots Kursk - von Timo Krstin
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