Never forever, Schaubühne

Never forever, Schaubühne


Die nimmermüden Ich-Projektler im Monster-Busy-Stress

„Ich halt diese unerträgliche, alles zersetzende Nähe einfach nicht aus.“ „Alle drei Wochen können wir uns vielleicht treffen.“ „Wir müssen auch nicht reden.“ Trotz ( oder wegen) dieser Aussagen sind alle beständig auf der Suche. Sie sind ständig in Bewegung in ihren vereinzelten, durch Alugestänge abgegrenzten Räumen. Sie springen, fallen hin, laufen auf der Stelle, klettern hoch, springen gegen Wände, hängen sich in Gummibänder, rollen sich auf den Sofas ab, springen in Pappkartons, wirbeln herum und rühren sich eigentlich nicht von der Stelle. Ungeheuerlich viel Energie demonstrieren sie, ohne sich tatsächlich weiter zu bewegen. „Nie bin ich genug!“ Die Angst vor dem Versagen und die Wut darüber werden zu ihren ständigen Antriebsmotoren. Sich nach dem einen zu verzehren und dennoch zu kneifen, wenn die eine Beziehung ernst werden sollte, gehören zusammen. Nie ist der andere und nie ist man selbst gut genug, wo die Möglichkeiten so vielfältig sind. Den direkten realen Kontakt meidet man, erst in der geschützten Distanz des Netzes erwacht das Interesse für den Anderen: Wer ist der andere, der sich dort scheinbar durch Facebook-Profile, Instergram-Post und Twitter-Nachrichten outet? Die Spuren im Netz reizen die Neugier, denn dieses Kennenlernen hat keine Konsequenzen.
Den vier Schauspielern der Schaubühne ( Regine Zimmermann, Tilman Strauß, Ilse Ritter, Kay Bartholomäus Schulze) stehen vier Tänzer von Total Brutal (Florian Bilbao, Katharina Maschenka Horn, Johanna Lemke, Chris Scherer) gegenüber. Doch alle Tänzer sind auch Spieler und umgekehrt. Alle haben ihre Geschichten, alle haben ihre Bewegungsräume innerhalb der Spielwiese, die das Bühnenbild aus verschiedenen Ebenen, Sofareihen und verschiebbaren Alu-Gerüst-Wänden bietet.
Es entsteht das hoffnungslose Bild einer Generation, die bindungslos durchs Netz und durchs Leben wütet, rennt und torkelt. Wenn da nicht Ilse Ritter wäre! Sie erdet mit ihrer Rolle einer Frau, die auf ihr Leben im Angesicht seiner greifbaren Endlichkeit zurückblicken kann. Sie redet nicht von virtuellen Möglichkeiten sondern von real Erlebtem. Als Schauspielerin kennt sie andere Räume des Ausprobierens; sie schlüpfte in ihre Rollen nicht im Netz sondern auf der Theaterbühne. Die Ich-Projektler bitten Ritter immer wieder um Worte für die wirklichen Gefühle des Lebens.
Zum Schluss zitiert Ritter die Gretchen-Zeilen: „Meine Ruh ist hin…“ Den jungen Leuten scheint zum ersten Mal der Stecker gezogen, alle Energiezufuhr ist abgeschnitten und sie hängen ermattet auf den Alu-Gerüsten mit erschlafften Gliedern.
Falk Richter hat zusammen mit Choreograph Nir de Volff einen intensiven Abend geschaffen, aus dem jeder der Zuschauer sicher andere Eindrücke mit nach Hause nimmt. An Bildern, Tempo, Geschichten und Stimmungen reich, weiß er zu beeindrucken.
Birgit Schmalmack vom 20.10.15



Zur Kritik von

 
Nachtkritik 
Tagesspiegel 


Und dann kam Mirna
Berlin-Herbst-Special 2015

Druckbare Version