Sie sind hier: Berlin-Sommer-Special 2019
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Allgemein:
Melissa kriegt alles, DT
Against the record, HAU 1
Manifesto, Harake Dance company
Salon 89, Sophiensäle
Gazino Berlin, Heimathafen
Bridge Markland + Gäste: queens + kings, AHA
Irritation gewünscht
Die vier PerformerInnen stehen wie Statuen mitten zwischen den Zuschauern. Sie sind düster geschminkt, haben Fratzen ins Gesicht gemalt, tragen Kostüme, die sowohl historische Elemente wei Gobelins aber auch Versätzstücke der Metalszene zeigen. Kordeln sind ebenso vertreten wie Lederschnüre und Metallketten. Lederbandagen zeugen davon, das die TrägerInnen keiner Auseinandersetzung aus dem Weg gehen würden. Doch sie stehen stumm und wie festgewurzelt auf ihrem Platz. Wie in Slow Motion verändern sie ihre Position und wirken doch wie an eine Steckdose angeschlossen. Nur mühsam halten sie ihre Wut zurück. Jede ihrer winzigen Bewegungen findet unter massiver Anspannung statt. Sie scheinen fast zu platzen vor angestauter Wut. Alles findet in völliger Stille statt. Dann ein Gewitterschlag. Ihr Hecheln, ihr Stöhnen, ihr schnelles Atem ist zu hören. Die Donnerschläge münden in immer schnellerer Einschläge, bis sie sich zu einem Ohren betäubenden Drummer-Ausbruch steigern.
In dem neu eröffneten Heizwerk der Uferstudios gibt es kein Entrinnen vor dieser Noiseangriff. Den vier PerformerInnen verhilft diese Anfeuerung ihre Wut in Worte zu kanalisieren. Zu verstehen sind nur einzelne Worte, aber keine Zusammenhänge, denn sie stoßen sie wie hingekotzte Brocken heraus. . Es geht um Blut, es geht um die rote Revolution, es geht um Ausscheidungen, es geht um Schleim, so viel wird klar. Sie stöhnen, sie wimmern, sie keuchen, sie schreien, sie keuchen, sie grunzen sie statt sie zu sprechen.
Die Desintegration all dieser Signale und Symbole ist beabsichtigt. Die Einordnung fällt schwer. Die PerformerInnen senden bedrohliche Signale aus, bleiben aber zu passiv um aggressiv zu wirken
Kurz vor Ende setzt ein Summen ein. Es scheint mitten aus den Zuschauern zu kommen. Es scheint die PerformerInnen einzufangen, sie lösen sich aus ihren Positionen. Bald darauf verziehen sich nur noch ihre Gesichtsmuskeln. Wie von unkontrollierbaren Zuckungen sind ihre Gesichter gezeichnet. Dann holen die summenden Chormitglieder die Vier ab und nehmen sie direkt in ihre Mitte. Sie werden zu einem Teil der Gemeinschaft, die sich wie eine Welle durch den Raum bewegt. Ob sie leider, wütend ist, aufbegehrt oder sich meditativ wiegt, bleibt offen. So wird die Wut aufgesogen von der Menge. Findet die Revolution nun statt? Vielleicht ist die neu gefundene Gemeinschaft auch eine Möglichkeit Teil von etwas Neuem zu werden.
In „Menstrual Metal“ greift Choreographin und Performerin Jule Flierl zusammen mit Luise Meier die Formen von Black Metal auf und kombiniert sie mit den des Bewegungschores und des Sprechtanzes. Black Metal ist verbunden mit Männlichkeit, mit rassischer Reinheit, mit Konformität. Fierl deutet die äußeren Attribute der Kleidung und der Musik auf eine queere transformatorische Lesart um. Das Blut, mit dem die Metalszene ebenfalls operiert, ist sie für das Menstruationsblut und wird zur Metapher für alles Schleimige, Fischige, Blutige, das am besten verborgen bleiben soll und dennoch der Ursprung allen Lebens ist
Doch leider bleibt diese passive Art der Revolution an diesem Abend zu statisch, um den zugrunde liegenden Überlegungen auch sinnlich einen Ausdruck zu verliehen. Da auch die gesprochenen TextpassagenText erst im Nachherein im Programmheft zu lesen sind, bleiben während der Performance mehr Fragezeichen als Gedanken, die zum Nachdenken anregen.
Birgit Schmalmack vom 8.8.19