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Geister im Park
"Seid ihr für die Todesstrafe? Würdet ihr töten, um eure Familie zu verteidigen? Setzt ihr euch für andere ein? Seid ihr bereit euer Vaterland zu verteidigen?" Solche Fragen muss man normalerweise nicht auf Stadtführung beantworten. Doch nachdem die Teilnehmer sich zur Beantwortung auf einer Skala einsortiert haben, geht es scheinbar wie auf einer herkömmlichen Führung weiter, zum Rundgang auf dem größten eingezäunten Friedhof der Welt, nämlich auf dem Ohlsdorfer Friedhof. So führt Kai Fischer mit bewährter Headphone-Technik zu allerlei Denkmälern, für Soldaten, für deutsche Widerständler, für Polizisten, für Opfer revolutionärer Aufstände. Doch dann stören plötzlich auftauchende Frauen die Führung. Die eine sucht nach ihrem Bruder, die nächste will das Recht der Stadt brechen, um ihren Bruder ein Begräbnis zu ermöglichen und die letzte will sich gar für ihr Vaterland opfern. Die erste strahlt in ihrer Bedächtigkeit etwas Geisterhaftes aus. Die Zweite beeindruckt mit ihre schlichten Ernsthaftigkeit, die keinen Widerspruch duldet. Und die Dritte will ihre Selbstopferung in Girlie-Manier zu einem großen Show-Event machen. Auf den Grabsteinen sucht sie nach der perfekten Inszenierungspose, um sie im Netz zu verbreiten. Eine der Störerin übernimmt schließlich kurzerhand die Führung des Rundgang. Schließlich kenne sie die Toten hier viel besser. So führt sie zu unsichtbaren Steinen, zu Bäumen und zu Bänken und erzählt von Selbstmördern, Unfalltoten und Vergewaltigungsopfer, deren Geister hier auf dem Friedhof hausen. Dazu läuft über die Kopfhörer stilvoll Bachs Kantate „Ich habe genug. ...Ich freue mich auf meinen Tod.“ So werden die Teilnehmer zur Kapelle geleitet. Hier offenbaren sich die drei Frauen als Iphigenie, Elektra und Antigone. An der langen Tafel lassen sie ihre jeweiligen Geschichten ihren dramatischen Höhepunkten zustreben, die die Fragen der Ehre, der Rache und der Verantwortung zuspitzen. Die Zuschauer werden zu Göttern, die über ihr Schicksal entscheiden dürfen.
Das Arrangement des Rundgangs mischt gekonnt Fiktion und Realität. Die drei Darstellerinnnen faszinieren jede auf ihre Art. Besonders Sara Reifenscheid versteht mit ihrer dezidierten Melancholie ein Stück hintergründige Morbidität zu erzeugen, die das Geheimnisvolle des Projektes unterstreicht. Das abschließende Begräbnis für Antigone im mittlerweile stockdunkeln Friedhof hatte die Poesie und die Bildkraft, die die Projekte der Azubis Christopher Weiß (der sich dieses Mal sehr im Hintergrund hielt) und Kai Fischer auszeichnen.
Birgit Schmalmack vom 17.9.18