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Wer hier sich nicht als Alien fühlt, ist kein Mensch.
Wer hier nicht verrückt wird, ist nicht normal. Ständiger Überfluss von Sinneseindrücken führt zu einer Verschiebung der Wahrnehmung; sie wird im wahrsten Sinne verrückt. Wo bin ich hier bloß gelandet? Das fragt sich Thomas Newton immer wieder, während er die zig Kanäle durchzappt, auf denen von den Katastrophen auf dem Planeten Erde berichtet wird. Irgendwo knallt es immer, irgendwo stellt ein Politiker wieder ein neue Strategie zur eigenen Machterhaltung vor, irgendwo spielt sich gerade eine neue Umweltkatastrophe oder ein neuer Krieg ab. Newton flüchtet sich mit seinen Ginflaschen in eine Traumwelt, in der sich allerdings bald Wunsch- und Alptraum mischen. Dort trifft er ebenso auf einen alten Freund (Yorck Dippe), einen mädchenhaften Engel (Gala Othero Winter), seine frühere Geliebte, ein graues Mäuschen (Julia Wieninger) wie auch auf einen scheinheiligen Mephisto-Killer (Tilmann Strauß). Sie alle bevölkern die Traumlandschaft, die sich unter den zahlreichen Bildschirmen aus grauem Felsgestein auf der Drehbühne entfaltet. Newton ist auf dieser Erde ein Alien. Einer, der von einem anderen Planeten auf die Erde gefallen ist. Er kann weder zurück noch sterben. Er ist zwischen den Welten gefangen.
Angelehnt an den Roman "The Man Who Fell To Earth" von Walter Tevis, in dem David Bowie die Hauptrolle spielte, hat Bowie kurz vor seinem Tod ein Musical geschrieben, das der Autor Enda Walsh dramaturgisch überarbeitet hat. Von alten und neuen Bowie-Songs getragen wagt es einen Blick in den ver-rückten Kopf von Newton bzw. seines Alter Egos Bowie.
Auf einem Podest, das wie eine Pfeilspitze ins Publikum hineinragt, bleibt Thomas Newton ein einsamer Zuschauer in seinem eigenen Leben. Er steht dem Geschehen genauso fassungslos gegenüber wie der Zuschauer. Das alles ist nicht einzuordnen. Der ständige Wechsel der Fokussierung führen zu einer Überforderung. Es bleibt keine Zeit zum Innehalten. Schon jagt der nächste Reiz die Aufmerksamkeit Bowies und der Zuschauer über die rotierende Drehbühne. Im Schauspielhaus wird Bowie verkörpert von Alexander Scheer. Ihm gelingt es trotz des Aufruhrs um ihn herum Bowies Einsamkeit und Gebrochenheit nachfühlbar zu machen. Jeder Ton, den er anstimmt, jede Bewegung, die ihn über die Bühne jagen lässt, spricht von seiner Unbehaustheit.
Regisseur Falk Richter hat am Schauspielhaus "Lazarus" als eine überengagierte Musical-Allegorie eingerichtet. Er hat dafür zum Mittel der ständigen Reizüberflutung gegriffen. Er reicherte das Musical mit so vielen Glitzer-Showeffekten, Videobildern, rotierenden Bühnenbildern und ständigem Kostümwechseln an, dass einem beim Zuschauen schwindlig werden kann. Er wollte die abstruse Oberflächlichkeit des Show-Bizz vorführen und gleichzeitig Parallelen zur potenzierten Reizüberflutung des Internetzeitalters aufzeigen. So speisen sich die Bilder, die über die Leinwänden huschen, aus Ereignissen von gestern und heute. Die Gänsehautmomente kann man folglich eher auskosten, wenn man zeitweise die Augen schließt.
So ist das Ende gleichzeitig der Höhepunkt: Wenn Gala und Scheer zum Schluss gemeinsam "Heroes" anstimmen und alles andere schweigt, kann die Kraft der Musik und der Melancholie voll zur Geltung kommen und man ahnt, was noch möglich gewesen wäre.
Birgit Schmalmack vom 23.11.19
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