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Altersschwacher Gottvater und agiles Teufelchen
Gottvater (Tom Pidde) sitzt mit weißem Puschelbart auf der Bühne und hustet Berge von Taschentüchern voll. Eine Krankenschwester (Sandra Kiefer) trippelt in kurzem Röckchen herein und tupft ihm die Stirn ab. Gott ist anscheinend alt geworden - und auch ziemlich machtlos angesichts des Unwesens, das die von ihm geschaffenen Menschen auf der Erde treiben, von dem der Bote (Stephan Arweiler) auf Rollerskates berichtet.
Diese erste Szene gibt den Ton vor, den Regisseurin Constanze Ullmer für ihren Doppelabend „Satanische Verse/ Liebeskonzil“ anschlägt. Nicht zu ernst soll es werden. Religionskritik wird hier gerne in einer großen Portion Humor bis hin zum Klamauk verpackt.
Nach dem Black sitzt Gottvater als Gabril mit seinem Freund Saladin Chamcha (toll: Lars Ceglecki) in einem Flugzeug, das von Indien nach London unterwegs ist. Eine Selbstmordattentäterin sprengt die Maschine in die Luft. Wie durch ein Wunder überleben die beiden Inder. Chamcha wird jedoch als Illegaler festgenommen, während Gabril sich bei einer Engländerin ausruhen darf. Dort fängt er an zu träumen, von einem Mohammed, der weibliche Gottheiten in den Koran aufnimmt, von einer Audienz beim Ayatollah und von sich als Erzengel Gabriel. Mit der Folge, dass er sich wegen paranoider Schizophrenie behandeln lassen muss.
Die schlichte Ausstattung in Weiß mit wenigen kleinen Farbakzenten setzt einen klugen Kontrast zum mythologisch und ideologisch aufgeladenen Inhalt.
Die Szenen um den debilen Gottvater und seiner Familie (die heilige Maria und den erschöpften Jesus) des „Liebeskonzils“ von Oskar Panizza schneidet die Textfassung von Andreas Lübbers in die Szenen aus Gabrils Leben und Träumen der „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie. Durch die Verknüpfung der beiden Romane und die Doppelbesetzung der Schauspieler ist ein gewisser Grad an Verwirrung vorprogrammiert. Dem kommt das Programmheft entgegen und skizziert den Inhalt jeder Szene. Ein vorheriges Lesen erleichtert auf jeden Fall das Verständnis.
Es ist klar: Die „Satanischen Verse“ hätten locker für einen interessanten Abend gereicht. In der Handschrift von Ullmer lässt sich vermuten, dass auch sie den Text von Rushdie für wesentlich vielschichtiger hält. Insofern bleibt die Frage, warum das „Liebeskonzil“ vom Team als zusätzliches Material für notwendig gehalten wurde. Der Gesichtspunkt, dass beide Verfasser wegen Gotteslästerung verurteilt wurden und somit Gedankenunfreiheit also nicht nur im heutigen Iran keine Selbstverständlichkeit ist sondern auch im 19 Jh. des deutschen Ambergs. Doch dieser Aspekt kann die dadurch entstehenden Nachteile leider nicht ganz aufwiegen.
Birgit Schmalmack vom 2.9.15
Abbildung: Satanische Verse - Salman Rushdie im Sprechwerk