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Wie viel Antigone steckt in mir?
Diese Frage stellen sich die neun Frauen auf der Bühne. In einer geraden Stuhlreihe sitzen sie vor der großen Leinwand. Barfüßig sind sie. Sie haben keine Schuhe mehr, mit denen sie sich auf den Weg machen können. Schwach fühlen sie sich angesichts der Umstände, die sie so hilflos machen. Die eigentlich siebzehn Frauen, von denen nur neun zum Gastspiel nach Hamburg kommen durften, sind Syrerinnen, die vor dem Krieg geflohen sind. Gestrandet sind sie im libanesischen Lager Shatila, das hauptsächlich von palästinensischen Flüchtlingen bewohnt wird. Auch hier sind sie das schwächste Glied; als Neuankömmlinge haben sie sich in der Hierarchie des Lagers ganz unten einzuordnen.
Doch im Theaterprojekt von Mohammad al-Attar und Omar Abusaada lernen sie neue Seiten an sich kennen. Antigone heißt das Stück, das sie spielen sollen. Auch sie haben wie Antigone Angehörige verloren, die sie nicht begraben konnten. Ihre Väter, Söhne und Brüder liegen gefallen und unbegraben irgendwo in Syrien, während sie nach Beirut fliehen mussten.
So mutig wie Antigone kämpften die wenigsten von ihnen. Viele bekennen, dass sie sich oft den Machtverhältnissen beugten. Doch einige entdeckten eine ungewohnte Stärke in sich. So erzählt eine der Frauen von ihrer Suche nach ihrem Bruder. Bei der Polizei, der syrischen Armee, bei der Al Nusra Front, bei den Aufständischen - überall wagte sie sich ohne Begleitung vor und fragte unermüdlich nach. Eine andere begehrte gegen ihren zwangsverheirateten Ehemann auf, als er ihr den Vollschleier vorschreiben wollte. Die anderen berichten von den alltäglichen Zumutungen der Flucht, die gerade ihnen als Frauen eine ohnmächtige Rolle aufzwingen, aber ihnen auch durch das Fehlen der Männer neue Freiräume ermöglichen.
Die Regie bleibt im Hintergrund. Sie gibt den Frauen schlicht den Raum für ihre Sichtweise. Immer eine von ihnen tritt aus der langen Stuhlreihe an eines der Mikros und erzählt ihren Teil der Geschichte. Kaum Emotionen zeigen die Frauen. Sehr gefasst begegnen sie den Herausforderungen ihres Lebens. Diese Zurückhaltung beeindruckt und distanziert zugleich. Doch diese Frauen wollen nicht rühren sondern interessieren.
Birgit Schmalmack vom 6.2.16
Abbildung: Antigone of Shatila - Foto: Dalia Khamissy
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