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Kolonialismus umdrehen? Von wegen!
Nach sieben Jahren in Belgien hat Aloys Kwaakum endlich eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und darf einer regulären Arbeit nachgehen. Doch statt der erhofften Aufstiegschancen lädt er nun legal statt in Schwarzarbeit jede Nacht Container für DHL aus. Auch Lateef Babatunde und Etuwe Bright Junior geht und es nicht besser.
Die drei Performer aus Kamerun und Nigeria leben in Belgien, doch auf Augenhöhe mit den weißen Belgiern erleben sie sich nicht. Wie sollen sie dem Migrations-Dilemma entkommen? Ein neues Land gründen! Nur für europäische Afrikaner, afrikanische Europäer und afrikanische Afrikaner! Doch wie sollte dieses aussehen? Welche Regeln sollen gelten? Der Name, Ort, Regierungsform, Religion und Familienrechte sollen festgelegt werden.
Dass sie ausgerechnet das vorrangig weiße Publikum im Thalia in der Gaußstraße dazu befragen und abstimmen lassen, offenbart das Ausmaß des bisherigen Prägung durch die kolonialistische Vergangenheit. Dass die Zuschauer dazu ebenso klaglos die Wahlkarten heben, zeigt wie tief verankert diese Strukturen auch bei ihnen sind. Die Mehrheit des Publikums ist für "Afrika United" in Zentralafrika, für Polygamie, freie Religionswahl. Erst ganz am Schluss geht ihnen auf, dass sie den smarten Performern auf den Leim gegangen sind. Erst als sie nur die Auswahl zwischen Herrschaft des einen oder des anderen "Chief" haben, geht den Zuschauer/Innen auf, dass sie den smarten mitreißenden Performern auf den Leim gegangen sind.
Die Umdrehung des Kolonialismus ist also plangemäß nicht geglückt, aber Regisseur Ahilan Ratnamohan hat den Spieß geschickt umgedreht. Er lässt das Publikum für die Dauer des Theaterabends durch die Augen der schwarzen Performer auf das Leben in einem weißen Land blicken. Er reflektiert mit den Mitteln einer Comedyshow den alltäglichen Rassismus, der dem Leben im Westen zugrunde liegt. Diese Inszenierung wagt einen risikoreichen Drahtseilakt, da Reaktionen der Zuschauer/Innen nicht nur provoziert sondern einfordert werden. Sie glückt, weil er selbst als geschickt ausbalancierender Moderator neben den drei selbstbewusst, selbstironisch und souverän auftretenden Performer auf der Bühne agiert und die Show stets am Laufen hält. Zur Not mit ein paar schwungvollen Tanzeinlagen! Ein interessanter, anregender und innovativer Theaterabend anlässlich der Lessingtage!
Birgit Schmalmack vom 29.1.20
Abbildung: Reverse Colonialism! - im Rahmen der Lessingtage
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