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Irritierende Beruhigung
Auf der Bühne ein rundlicher Bretterverschlag mit Heuhaufen, darüber ein angedeutetes Dach aus zwei Brettern (Bühne: Barbara Ehnes), die himmelwärts weisen. Das ist das zusammengezimmerte, ärmliche Ambiente des Dorfes Salem. Vorbei die Psycho-Atmosphäre aus dem Video, das zuvor über die Leinwand lief. Der Pastor (Julian Greis) ist in heller Aufregung. Seine ohnehin wackelige Stellung in der Gemeinde ist gefährdet. Seine Tochter und seine Nichte haben zusammen mit anderen Mädchen im Wald getanzt, wohlmöglich sogar nackt! Doch Tanzen ist in der christlich-fundamentalistischen Salemer Gemeinde verboten.
Der Autor zeige, was mit den Menschen in ideologisch verblendeten Gesellschaften geschieht, so meinte Regisseur Stefan Pucher kurz vor der Premiere seiner Inszenierung von Arthur Millers "Hexenjagd". So wie Miller seine Allegorie auf die Zustände in der amerikanischen Gesellschaft während der McCarthy-Ära ganz in die Verhältnisse des 17. Jahrhunderts in der amerikanischen Provinzdorf Salem versetzte, so verzichtet Pucher auf die Aktualisierung des Stoffes. Die Personen tragen fast alle Kostüme, die sie in ihrer Zeit verorten.
Am Morgen nach der Tanzorgie zeigen ein paar der jungen Frauen auffällige Krankheitssymptome. Sind sie etwa vom Bösen infiziert? Sind sie sogar mit dem Teufel im Bunde? Schnell macht das Wort "Hexen" die Runde. Eines der Mädchen namens Abigail (Antonia Bill) weist die Schuld von sich und deutet auf die Migrantin Tituba (Sylvana Seddig). Schnell schwört sie die übrigen Mädchen auf diese Version ein und so werden sie zu Kronzeugen im Aufdeckungsprozess, den der Pastor mit Hilfe des herbeigerufenen Teufelsexperten Hale (Kristof Van Boven) anstößt. Die „Hexenjagd„ nimmt so richtig Fahrt auf, als der Richter Danforth (Rafael Stachowiak) den offiziellen Gerichtsprozess eröffnet. Jetzt geht es um Leben oder Tod. Nur wer gesteht, kann dem Galgen entrinnen. Nur wenige Aufrechte können diesem Angebot widerstehen. Der Effekt ist klar: So bekommt die einzige Wahrheit der Hexenkumpanei zwangsläufig immer weitere Zeugen.
Danforth kommt wie ein selbstverliebter Popstar daher, der es genießt sich in Szene zu setzen. Wie er seine Fönfrisur schüttelt, seine Finger spreizt und mit gebieterischer Geste die Psalmgesänge der Gemeinde einfordert, erinnert an einen Showstar, der in einem YouTube-Video Regie führt.
Sein Widerpart ist der bodenständige Bauer Proctor, der von Jörg Pohl als sympathische und ehrliche Haut gespielt wird. Ein Aufrechter unter all den Mitläufern, der sich aber seiner zahlreichen Schwächen wohl bewusst ist. Während der Krankheit seiner Frau betrog er sie mit dem Hausmädchen Abigail, die sich seitdem Hoffnungen macht und so die Chance nutzt Proctors Frau während der Prozesses zu verleumden.
Die Querverbindungen zu heutigen Entwicklungen wären zahlreich: Die Vereinahmungen der Volksmeinung durch agitatorische Hetzreden, durch die vermeintlich klare Trennung von Freund und Feind und schließlich durch eine Legitimation von ganz oben, durch die eine Religion. Viele dieser Attribute sind auch heute an vielen Orten zu erkennen, doch Pucher belässt die Geschehnisse in der christlich-fundamentalistischen Salemer Gemeinde aus dem Jahre 1692.
Er spielt das Stück fast konventionell vom Blatt ab. Das ist man vom ihm nicht gewohnt. Natürlich braucht man die Verweise nicht zu inszenieren, um sie mitzudenken zu können. Doch zusammen mit der Überzeichnung der meisten Figuren rückt das Geschehen so in zu sicherer Entfernung um wirklich aufzurütteln.
Erst ganz am Schluss liefert der Regisseur noch ein gewohntes und irritierendes Pucher-Pop-Element: Der gerade gehängte Proctor springt quicklebendig vom Brettergerüst wie von einer Bühnentreppe und singt: „There is no god.„ Ein beruhigendes Ende? Schließlich dürfen hierzulande solche Songs mittlerweile ohne Androhung von Strafen gesungen werden. Doch sind die Gefahren damit für zukünftige Entwicklungen oder für andere Regionen gebannt? Pucher entlässt sein Publikum wahlweise mit guter Laune zum Glas Wein oder angeregt diskutierend über drohende Anzeichen am Horizont.
Birgit Schmalmack vom 12.12.18
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