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Zur Kritik von |
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Wunschkonzert, Schauspielhaus |
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Absolute Leere
Jeder Handgriff sitzt. Jede Bewegung ist seit Jahrzehnten einstudiert. Diese Frau hat an ihrem Tagesablauf schon seit langem nichts mehr verändert. Das merkt man gleich, nachdem sie die Wohnungstür aufgeschlossen und ihren Mantel abgelegt hat. Ihr abendliches Standardprogramm spult sich ab. Sich selbst begründende Aufgaben wie Hände Waschen, in Zeitungen Blättern, zu Abend Essen, Abwaschen, Handarbeiten benötigen keine extra Rechtfertigung. Nur nicht ins Grübeln geraten! Als es ihr nicht auf Anhieb gelingt, die Tischdecke genau Ecke auf Ecke zusammenzufalten, wirft sie sich in Verzweiflung aufs Bett. Ein Fussel auf dem Boden, ein Fleck in der Küchenecke, ein Pickel im Gesicht – alles muss sofort beseitigt werden. Diese Frau lebt schon seit 20 Jahren alleine. Nichts stört ihre abendlichen Gewohnheiten, die ihr klar strukturiert den nötigen Halt geben sollen. Doch da gibt es diese kleinen Momente, wenn ihr Blick ins Leere fällt, wenn die Verzweiflung sich durch die Abschirmung aus Alltagsverrichtungen durchbricht. Man bemerkt die nach außen gut verborgene Anstrengung, wenn sie sich ebenso rasch wieder aufrafft, sich ihren Rock glatt streicht, ihre Perückenlocken richtet und erneut mit zackigem Schritt auf ihren Freizeitpumps über den Dielenboden ihrer Singlewohnung klackert. Hedi Kriegskotte spielt die einsame Single-Frau als preußisch aufrechte, konsequent selbstbeherrschte, Frau, die sich keinerlei Selbstmitleid durchgehen lässt. Doch Kriegskottes Gesichtsausdruck zeigt zugleich die tiefe Traurigkeit der Frau. Ihre resignierte Verbitterung lässt die Mundwinkel hängen, die Falten der Verhärmung haben sich eingegraben, jedes Lächeln gerät zur angespannten Fassade. Regisseurin Christine Gerstner hat aus der achtseitigen Regieanweisung von Franz Xaver Kroetz ein Theaterstück der Stille gemacht. Kein Geräusch lenkt von der Lebensleere dieser Frau ab. Erst der im Titel angekündigte Höhepunkt des Abends – das „Wunschkonzert“ im Radio – bringt die ersten menschlichen Geräusche in die Wohnung. Diese Radiosendung erzählt von einer anderen Welt, in der Menschen einander gefühlvolle Schnulzen-Grüße senden. Doch diese Frau bleibt grußlos. Ihre Mauer aus Selbstbeherrschung beginnt zu bröckeln. Als sie sich zur Nachtruhe ins Bett legt, kann sie das Wandern der Gedanken durch keinerlei tätige Ablenkung mehr verhindern. Sie steht sie auf und holt aus dem Badezimmerschrank die Packung Schlaftabletten. Hedi Kriegskotte spielt auch diesen Moment ganz undramatisch, als sei er die einzig mögliche logische Schlussfolgerung aus ihren vorherigen Tätigkeiten. Ein tief bewegender, unendlich trauriger Abend im Rangfoyer des Schauspielhauses.
Birgit Schmalmack vom 14.11.12
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