Tadellöser und Wolff

Tadellöser und Wolff im Altonaer Theater


Eine ganz normale Familie

Immer wieder versammelt sich die Familie Kempowski vor der Blümchentapete für ein Familienbild. Walter (Karsten Kramer), der kleine Peter Pimp, die Schwester Ulla (Nicola Lenk), der Bruder Robert (Markus Mössner), Vater (Jens Weisser) und Mutter (Hannelore Droege). Alle stehen sie eng beisammen. Doch von Mal zu Mal werden es weniger. Erst zieht die Schwester zu ihrem Mann ins sichere Dänemark, der Vater in den Krieg, der Bruder an die Front. Übrig blieben Mutter und Sohn Walter. Auch der Hintergrund hat sich derweil verändert: Statt bürgerlicher Tapete ein Schwarz-Weiß-Bild des zerbombten Rostock.
Walter Kempowski hat in seiner autobiographischen Romantrilogie das Bild einer Familie in der Nazizeit gezeichnet. „Isses denn möglich,“ fragt die Mutter am Esstisch immer wieder. „Ansage mir frisch,“ fordert der Vater von seinen Sprösslingen. Viele Sprüche haben die einzelnen Familienmitglieder parat. Mecklenburger Platt fließt mit ein. In ständiger Endlosschleife werden sie in den Familienalltag eingestreut und dienen ihnen zur Standortbestimmung in der alles in Frage stellenden Nazi-Zeit.
Viele kurze Sequenzen hat Regisseur Axel Schneider aus Kempowskis Roman „Tadellöser und Wolff“ im Altonaer Theater zu einem dreistündigen Stück montiert. Das führt zunächst zu hektischer Bebilderung auf der Bühne und Verkürzung der Personen auf unfreiwillige komische Karikierung. Erst als die Kriegereignisse dramatischer werden, nimmt sich Schneider mehr Zeit für einzelne Episoden und das Einfühlen in die Familie wird leichter. Identifikationsfigur ist der erzählende Walter, zunächst neunjährig, am Ende 15-jährig. Das langmähnige Nesthäkchen, der Nicht-Klavierspieler und Nicht-Musterschüler nimmt nicht nur im Roman eine distanzierte Beobachterrolle ein, sondern auch auf der Bühne. Die Schilderung des ganz banalen Alltags einer ganz normalen Familie in der Zeit des zweiten Weltkriegs öffnet einen analysierenden Blick auf die Strukturen, die die Geschehnisse erst möglich machten.
Birgit Schmalmack vom 11.10.10