Kopfkino vom Feinsten




Tief in die Abgründe der Seele von Nomran Bates ließen Matthias Brandt und Jens Thomas in ihrem Gastspiel am BE blicken. Dazu setzten sich der experimentelle Musiker und Vokalkünstler Thomas an den Flügel und Brandt daneben ans Lesepult. Vor sich hat der begnadete Schauspieler die literarische Vorlage des Klassikers "Psycho" von Robert Bloch vor sich, die angesichts der legendären Verfilmung von Hitchcock relativ unbekannt geblieben ist. Nun verhelfen die beiden Interpreten ihr zu neuer Aufmerksamkeit. Der Text steht, zumindest in der Umsetzung auf der leeren schwarzen Bühne im BE in Hinblick auf Tiefgang, Spannung und Hintergründigkeit der Verfilmung in nichts nach. Ganz im Gegenteil. Während Brandt den Text vorträgt und Thomas dazu Töne und Klänge hervorbringt, von denen man nicht geglaubt hat, dass sie menschlich erzeugbar sind, entstehen die Bilder wie von alleine im Kopf. Sie werden wohltuend gewürzt von der doppelbödigen zarten Ironie, die Brandt immer wieder ins Publikum oder mit einem kleinen Seitenblick an Thomas hinüber sendet. Dieser Abend hat alles, was ein Theaterabend braucht. Obwohl nichts Spektakuläres zu sehen ist, beginnt das Kopfkino zu laufen. Hier zeigen zwei Künstler, dass es keine Effekte braucht, um eine eindrückliche Bühnenshow zu erzeugen. So erlebt man gebannt mit, wie Norman eine junge Frau in das verlassene Hotel einlässt, das er zusammen mit seiner Mutter betreibt. Eine symbiotische Hassliebe, eine unheilvolle Verstrickung zwischen Mutter und Sohn wird offenbar, in der die Neurosen und Psychosen blühen und die Grenzen verschwimmen. Natürlich mit dem bekannten blutigen Ende. Brandt braucht nur das Stichwort „Duschvorhang“ zu erwähnen und jeder weiß Bescheid. Schon lange ist es egal, wer die Tat verübt hat, ob Norman oder Norma, denn schon längst sind beide Charaktere zu einem verschmolzen. „Mutter war da, um mich zu schützen“, so drückt es Norman aus. Oder war er selbst in Normas Verkleidung? Wie jede gute Geschichte endet auch dieser Abend rätselhaft. Denn gerade im Ungesagten liegt das Potential zum Gruseln.

Birgit Schmalmack vom 24.6.21