Theater auf Distanz

Amal ist sich sicher: Der Kapitalismus wird die Demokratie bringen. Insofern findet sie die Gentrifizierung in Damaskus positiv. Die neuen Shops und Cafes im Basar sehen für sie wie Hoffnung auf Freiheit aus. So ist sie sofort bereit mit Youssef auf Demonstrationen zu gehen, die genau diese Freiheit einfordern. Obwohl ihr Vater, der sich gut im System unter Assad eingerichtet hat, dagegen ist und sie für naiv hält. Er soll recht behalten.

In diesem Syrien des Jahres 2011 findet sich auch Hammoudi wieder. Aus Paris ist der erfolgreiche syrische Chirurg eingeflogen, um seinen Pass verlängern zu lasen. Doch der Staat lässt ihn nicht wieder ausreisen. So entschließt er sich während des Bürgerkrieges ein Untergrundkrankenhaus zu betreiben. Am Ende hat er 917 Menschen beim Sterben zugeschaut.

Auf der Bühne dreht sich derweil ein Gerüst mit der Leuchtschrift "Habibi", auf dessen Rückseite ein riesiges Wahlplakat von Assad prangt. Im Laufe des Abends wird es übersprüht, übermalt und zum Schluss in Trümmer zerlegt.

Doch dieses Aufbegehren hat einen hohen Preis: Dieses System lässt sich von ein paar Demonstranten nicht einschüchtern. Der Geheimdienst schlägt zu. Amal und Youssef müssen nach mehrmaligen Verhaftungen und Folterungen ihr Land verlassen. Sie landen schließlich in Berlin, wo sie auf Hammoudi treffen.

Olga Grjasnowa hat viel für ihren Roman „Gott ist nicht schüchtern„ recherchiert. Sie versucht die Fakten mit Geschichten zu kombinieren, an die die Roman- und Theaterrezipient*innen anknüpfen können. So stammen alle Personen aus gebildeten Schichten. Das erleichtert das Einfühlen. Die von der Autorin extra für Laura Linnenbaums Inszenierung am BE geschriebene Theaterfassung ihres Romans ist prall gefüllt mit Handlung, die ohne Pause auf der Drehbühne chronologisch nacherzählt wird. In dieser komprimierten Fassung ergibt sich Aufgrund der Choronaregeln, die auf der Bühne eingehalten werden müssen, das Problem einer wenig interaktiven Spielweise. Die Darsteller*innen reden viel in der dritten Person. Da die Möglichkeiten zum Interagieren fehlen, überträgt sich die Distanz auch auf die Zuschauer. Das mag auch daran liegen, dass sie weit verteilt im ausgedünnten Theatersaal sitzen müssen. An den Schauspieler*innen liegt es definitiv nicht. Sie sind alle darstellungsstark und verstehen es, ihre Figur, so weit es ihnen möglich ist, mit Leben zu versehen. Erst der letzte Schicksalsschlag, bevor das Stück mit einem Black endet, geht direkt unter die Haut.

Diese Inszenierung zeigt auch, wie schwierig es ist Theater unter Coronabedingungen zu machen. Trotz der leider sehr aktuellen Thematik, die bewusst machen soll, dass der Krieg in Syrien immer noch nicht beendet ist, ist es schwer die Distanz zu überbrücken. Was genau deswegen besonders schade ist.

Birgit Schmalmack vom 17.9.20