Ein Alt-68-er bleibt sich treu
Henning Venske hält Jahresrückblick. Ein aufrechter Altlinker sagt unumwunden seine Meinung zum Allem, was ihn im Jahr 2015 so bewegt hat. Er teilt wie gewohnt kräftig nach allen Seiten aus. Mittlerweile eine Institution in Hamburg, zu dem das Alma Hoppe wieder gut gefüllt ist. Ein Jahr voller Misstöne war es. Das führt Venske gleich zu Beginn vor Ohren, denn er greift selbst zur Posaune, während sein Musiker Frank Grischek die Fanfare bläst. Statt wie früher Sklaven auf Märkten zu kaufen, strömten die Afrikaner jetzt freiwillig zum Arbeiten nach Europa. Der Anschlag auf Charlie Hebdo machte ihn schaudern; wenn Politiker sich mit Satirikern solidarisch erklären, laufe cetwas verkehrt. Paris finde täglich in Aleppo, Beirut und Bagdad statt, doch Frieden sei eben zu kompliziert zu denken. So treffen sich die Ohnmächtigen lieber in Elmau zum G7 Gipfel oder zum Klimagipfel in Paris, wo das Konzept des betreuten Demonstrierens geübt werde. Die wirklich Mächtigen treffen sich allerdings in ganz anderen Zirkeln, zum Beispiel bei den Bilderbergern, wo die 120 wichtigsten Entscheidungsträger aus der Wirtschaft und den Medien vertreten sind. Der Mindestlohn habe sich trotz der Wahrsager-Knalltüte Hans Werner Sinn nicht zum Jobkiller entwickelt, ganz im Gegenteil: Ende dieses Jahres sind mehr Menschen in Arbeit als zu Beginn. Der Flugzeugabsturz der German Wings Maschine führte zum Medienschlacht der vorgespielten Rührseligkeiten. Dagegen waren die ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer nur Randnotizen wert. Griechenland steht für Venske unter deutschem Protektorat. Wenn die Troika immer wieder das selbe fordert, aber stets neue Ergebnisse erwarte, ist für ihn nur natürlich, wenn Juncker und Schäuble in ihrem nächsten Leben ein Schuldeninkassobüro aufmachen werden. Auch Sigmar Gabriel ist ihn für keine Hoffnungsträger, er habe bereits die Ehrenmitgliedschaft in der CDU angetreten. Schließlich hat er den Waffenexport gesteigert, sich für TITIP stark gemacht und die SPD überflüssig gemacht. Natürlich kann auch Venske nicht zum Thema Flüchtlinge schweigen. Wenn man den rassistischen debilen Mob als Asylkritiker bezeichne, verkenne man, dass ihr Gehirn nur aus feuchter Spannplatte bestehe. Am liebsten sollte man sie in den alten Bergwerken ansiedeln, damit sie unter Tage ihre tümelnden Vorstellungen von Deutschsein unbehelligt nachgehen könnten. Deutschland könne nach der Integration von 16 Mill. Vertriebenen, 13 Mill. Gastarbeitern, 4 Mill. Russlanddeutschen doch wohl 1 Mill. Flüchtlinge aufnehmen? Zum Schluss widmet er sich noch den „Lallbacken“ des Jahres und nimmt in die illustere Reihe neben Gabriel, Höckel und Merkel gerne auch den Papst mit auf. Gauck kürt er mit seinem Satz „Wenn wir uns der Vergangenheit unvoreingenommen nähern, kann Wissen an die Stelle von Schweigen treten“ sogar zum absoluten Dumpfschwätzer. Auch in diesem Jahresrückblick wird klar, dass Venskes Weltbild sich, wie er selbst sagt, in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts geformt hat und er bis jetzt leider keinen Anlass sieht, dieses zu revidieren. Der homo oeconomicus stehe statt des homo sapiens im Blickpunkt allen Denkens und Handelns. Der politischen Horizont sei noch weiter geschrumpft und zwar auf die allumworbene Mitte, in der die Demokratie verrecken würde. Hier könnte man Apathie leicht mit Stabilität verwechseln. Die German Angst greife wieder um sich. Flüchten Sie doch einfach, rät er, in die Nostalgie, in die Fantasie, in den Alkohol oder in die Esoterik. Ansonsten gelte immer noch: Der Sinn eines gesundes Menschenverstandes sei es verrückt zu werden. In diesem Sinne verabschiedet sich der im Besten Sinne verrückte Venske. Birgit Schmalmack vom 3.1.15
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