Death of a clown
Dieses Establishment hat bessere Zeiten gesehen. Die Decke hat ein Loch, der Putz blättert von den Wänden, die Heizungsverkleidungen sind herausgebrochen. Hier hausen die Entertainer, deren Zeit ebenfalls vorbei ist. Doch zum Glück ist ihr roter Bühnensamtvorhang noch intakt. So dürfen sie sich in ihren Reminiszenzen noch wie vor großem Publikum fühlen. Sie treten ans Mikro und geben ihre Songs und Späße zum Besten, auch wenn die Figur, das Timing, die Gags und die Stimme schon lange nicht mehr konkurrenzfähig sind. Aus der Zeit gefallen sind diese Unterhalter, die nicht mehr mithalten können mit den Stars von heute, die sich auf Youtube und in Konzert-Arenen zur Schau stellen. Diese Unterhaltungskünstler des alten Varietés gibt es nicht mehr. Das wissen sie natürlich längst und so ist nichts so wichtig, wie der ausreichende Vorrat an Gin, um die Melancholie nicht in Depression fallen zu lassen. Zwei Bühnen hat dieses heruntergekommene Varieté: die eine zum Publikum des Schauspielhauses und die andere auf der Bühne. Zwei Showtreppen folglich auch. Zu Beginn sind die beiden Ebenen noch streng getrennt, denn unten auf der großen Bühne stehen die echten Profis um den einst so erfolgsverwöhnten Entertainer Archie (Michael Wittenborn), seine Frau (Irm Hermann), die sich früher so gerne in seinem Erfolg gesonnt hat, seinen Vater (Jean-Pierre Cornu), den früheren großen Theaterstar, und seine traurigen Kinder Jean (Sasha Rau) und Frank (Jan-Peter Kampwirth). Noch immer halten sie sich für etwas Besseres. Jedenfalls besser als die Proll-Kleinunterhalter-Familie (Josef Ostendorf, Bettina Stucky, Bastian Reiber, Rosemary Hardy), die solange Erdnüsse mampfend vor sich hinvegetiert, bis der Vorhang aufgeht, sie ins Publikum winken dürfen und ihre dürftigen Talente wie in Tele-Liveshows ausstellen dürfen. Doch zum Ende hin wird klar: Die Trennlinie zwischen den beiden Ebenen mag vor kurzer Zeit noch gegolten haben, ist mittlerweile aber schon hinfällig geworden. Ihrer aller Zeit ist lange vorbei. In Wirklichkeit haben sie alle nur noch ihren eigenen Tod zu beklagen. Archie stimmt ein letztes Lied an: “Drink to the death of a clown, Drink!“ Christoph Marthaler hat hier einen Abend angerichtet, der einen Abgesang auf das Theater der handgemachten Unterhaltung anstimmt. Hier wird eine Bühnenform zu Grabe getragen, das es nicht mehr gibt. Angesichts mancher Witze, die hier in purer Verzweiflung aus der Mottenkiste gezogen werden, mag das keiner bedauern. Doch Marthaler wäre nicht Marthaler, wenn er nicht die Menschen hinter diesen abgetakelten Performern zum Leuchten bringen würde. Hier stehen echte Menschen auf der Bühne, die mit all ihrer ganzen Persönlichkeit, mit all ihrem Herzblut sich verausgabt für ihr Publikum haben und nichts mehr für sich selbst übrig gelassen haben. Der Erfolg gab ihnen kurze Zeit Recht, aber hat sie im Weiterfliegen des schnelllebigen Publikumsgeschmacks aussortiert. Marthaler ist der Experte für diese Art der atmosphärisch dichten Totengesänge. Mit John Osborne Stücke „The Entertainer“ hat er jetzt sein ideales Stück gefunden, das er in seine melancholische Musik- und Bildersprache überführen konnte. Marthaler setzt diese Looser der Bühne mit allen ihren offen zur Schau getragenen Schwächen liebevoll und wunderbar gebrochen in Szene. Das war wieder einmal ein echter Marthaler, der dieses Gütesiegel verdient. Birgit Schmalmack vom 3.1.15
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Der Entertainer, Schauspielhaus Foto: Matthias Horn
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