Die Macht der Finsternis, Schaubühne

Die Macht der Finsternis

Keine Menschen mehr

Die kleine Holzkammer hängt drei Meter über dem Boden. Zwei Schächte führen von rechts und links auf sie zu. Nur kriechend können die Menschen sich dem Raum in der Mitte nähern. Hinter Masken verbergen sie ihr eigentliches Streben, Wünschen und Wollen. Als Individuen zählen sie hier nicht. In engen Bahnen dürfen sie sich nach vorgezeichneten Rollenmustern bewegen. Die Masken sind mit Bedacht ausgewählt. Der sterbende, schon fast erstarrte Hofbesitzer trägt eine Holzmaske. Die Knechte tragen grobe Masken aus Leinen. Die Frauen zarte Schleiermasken.
In der kleinen Kammer befindet sich ein Bett. Hier liegt der Hofbesitzer (Kay Bartholomäus Schulze) im Sterben. Seine junge Frau (Eva Meckbach) hat eine Liaison mit dem Knecht (überzeugend: Christoph Gawenda). Sie hofft nach dem sehnlichst erwarteten Tod ihres Mannes auf ein Leben mit ihm. Diese Pläne werden von der Mutter des Knechtes (hervorragend: Judith Engel) tatkräftig unterstützt. Sie ist die Strategin aus dem Hintergrund, die der Ehefrau hilft den Tod zu beschleunigen und den Sohn zur Ehe mit der Witwe drängt, obwohl er zu dieser Zeit mit deren Stieftochter ein Kind gezeugt hat. Das Kind wird von ihm beseitigt und die Stieftochter in eine schnelle Ehe gedrängt, um die scheinbare Ordnung wieder herzustellen.
Glückstrahlend kommt die Ehefrau zum Schluss den Gang hereingekrochen: Was für ein schönes Fest! Noch nie sei so ein schönes anständiges Hochzeitfest gefeiert worden, würden die Gäste meinen, so berichtet sie. Das Ansehen ist also erfolgreich gewahrt geblieben. Sünde wird das Tun der Menschen erst, wenn die anderen davon erfahren. So ist die Strategie der Mutter scheinbar aufgegangen. Doch der Sohn macht ihr einen Strich durch die Rechnung. Er stellt sich vor seine Gäste und zählt ungeschönt alle seine Missetaten auf.
Tolstoi hat ein Stück über die menschliche Natur innerhalb wirtschaftlicher Zwänge geschrieben. Obwohl das Kreuz über allem hängt und die Religion stets im Munde geführt wird, verhält sich kaum einer dementsprechend. Die ungerechte Besitzverteilung lässt die Menschen zu moralisch unsauberen Tricks greifen. Die Armut treibt sie zu dazu, mit allen Mitteln nach Möglichkeiten zu suchen, ihre Situation zu verbessern. So weit, dass sie ihre Menschlichkeit zu verlieren drohen.
Regisseur Michael Thalheimer hat es in bewährter Verkürzung und Kompensation klug inszeniert. Raum für das Gute gibt es in dieser Welt nicht. Mit möglichen differenzierenden Betrachtungen hält Thalheimer sich nicht auf. Durch das Bühnenbild Olaf Altmanns, das der Entfaltung der Darsteller sehr enge Grenzen setzt, wird der Fokus zusätzlich konzentriert. So werden sehr stimmige Bilder für die Enge des Dorflebens und die fehlende Entfaltung ihrer Bewohner gefunden.
Birgit Schmalmack vom 9.10.11


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