Zur Statue erstarrt
Die weiß gekleidete Iphigenie (Kathleen Morgeneyer) hat einen riesigen Farbeimer dabei, als sie den schwarzen Tempel, in dem sie als Vertriebene ihr Leben auf Tauris fristet, betritt. Mit Langarm-Malerrolle beginnt sie ihr Podest weiß anzustreichen. Mit hastigen Strichen wird die schwarze ursprüngliche Färbung notdürftig überdeckt. Vier weitere Personen in schwarzer Kleidung helfen ihr dabei. Iphigenie hat es geschafft, eine blutrünstige Tradition auf Tauris zu stoppen: Seitdem sie der Göttin Diana dient, hat es kein Todesopfer mehr auf ihrem Altar gegeben. Sie konnte auf den König Thoas (Oliver Stokowski) einwirken, von dem Brauch jeden Fremden zu töten Abstand zu nehmen. Doch als sie seinen Heiratsantrag ablehnt, bricht alles wieder auf: Er will die nächsten Fremden wieder opfern. Doch dies sind ausgerechnet zwei Griechen: Iphigenies Bruder Orest (Moritz Grove) und sein Freund Pylades (Camill Jammal). Die Menschlichkeit, die die barbarischen Bräuche beiseite schob, war nur oberflächlich, war nur Tünche auf tiefschwarzem Grund, der blieb. Goethes Bearbeitung der "Iphigenie" ist ein an äußerer Handlung sehr armes Stück, es verlegt die Auseinandersetzung in das Innere der Menschen. Unter der Regie von Ivan Panteleev erlischt jedoch nach der anfänglichen Weißelung nicht nur jede äußere, sondern leider auch die innere Aktion. Panteleev erklärt die Protagonisten in "Iphigenie auf Tauris" zu leeren Hülsen, denn er glaubt ihnen ihre vorgeführte Moralität, das scheinbare Weiß ihrer Seele nicht. Was folgt ist eher eine inszenierte Rezitation als ein Theaterstück. Die Schauspieler stehen meist an der Rampe und sprechen den Text ins Publikum. Sie deklamieren mehr als dass sie spielen. Echte Kommunikation gibt es hier nicht. Interaktion zwischen den Darstellern ist nicht erlaubt. Diese Sichtweise macht die Schauspielern zu Sprechautomaten ohne Überzeugung. Das ist als intellektueller Ansatz interessant, aber Spannung erzeugen geht anders. Zwei Stunden ohne Pause waren vielen Zuschauern zu lang und sie verließen noch während der Aufführung das Stück. Dieses Stück stellt auch heute wieder höchst aktuelle Fragen nach Vernunft statt Gewalt, Götterglaube statt Aufklärung und Fremde statt Heimat. Viele spannende Gegensatzpaare, viele interessante Ansätze, die man aber nicht zu sehen allenfalls in Andeutungen zu hören bekam. Sie erstarrten in der Form. Wie kalkweißé Statuen standen die Figuren gefangen in dem engen Korsett der Regie. Erst als Iphigenie ganz zum Schluss vom ihrem Podest heruntersteigt, um mit ihrem Bruder nach Griechenland zurückzukehren und wieder Mensch statt Heilige ist, darf sie für einige Minuten tatsächlich spielen. Birgit Schmalmack vom 17.10.16
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Iphigenie auf Tauris im DT (Foto Arno Declair)
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