Was eine Masse bewegt
Was kann eine Menge bewegen? Welche Wirkung kann sie haben? Auf ihre einzelnen Mitglieder und auf ihre Zuschauer? Zuerst stehen alle 70 Tänzer an den Seitenwänden der kampnagel Halle. Mit dem Gesicht zur Wand, jeder für sich alleine. Standbilder ihrer selbst erzeugen sie zwischen den folgenden Blackstone. Dann begeben sie sich einer nach dem anderen in den Bühnenraum. Hektisch werfen sie ihre Arme nach oben, streichen über die Beine, schaufeln mit den Händen Luft über den Kopf oder machen sich für einen Moment steif. Alle laufen durcheinander, das Chaos der Einzelspuren in der Mitte scheint perfekt, doch sie folgen ihren eigenen Regeln; Nie berühren sich ihre Wege. Dann beginnen sich Gruppen zu bilden, die ihre Bewegungen synchron absolvieren. Wenn nun alle gleichzeitig die Arme in den Himmel werfen, ist die Wirkung eine andere: Sie scheinen noch verzweifelter um Hilfe von oben zu flehen. Zur Ruhe kommen sie erst, als sie sich allmählich zu einer Reihe formieren. Wie eine atmende langsame sich bewegende Schlange stehen sie zum Schluss hintereinander, den Kopf auf der Schulter des nächsten abgelegt. Ebenso eindrucksvoll ist es, wenn sie sich zu einem großen Haufen finden, der sich in gemeinsamen Bewegungen findet. Als sie auf dem Boden zu liegen kommen, sorgsam aufeinander gestapelt, nur einzelne Körperteile hochheben, wirken sie ein Korallenriff im Wasser, das sanft von der Strömung bewegt wird. Zum Schluss finden sie sich zum energetischen Parygruppe, die sich gegenseitig Kraft und Ansporn zum Weitermachen gibt, obwohl der Schweiß und die Anstrengung der bisherigen Stunde selbst in den Zuschauerreihen zu spüren ist. Massenbewegungen können dies alles sein: chaotisch, vereinnahmend, bedrohlich, mitreißend, beruhigend oder Angst einflößend. Sie können Energie geben oder aufsaugen. Sie können das Individuum stärken oder negieren. Sie können esoterisch oder faschistoid wirken. All das lotet die Choreografie von Patricia Carolin Mai in der K3 aus. Sie arbeitete dafür mit einer siebzigköpfigen Laiengruppe zusammen, die in einer Arbeitszeit von acht Monaten lernte ohne äußere Zeichen auf sich und den anderen zu hören. Denn die Choreografie kommt ohne Musik aus. Nur ihr Atem gibt den Takt zur Veränderung vor. Eine beeindruckende Arbeit, die zeigte, wozu ein Laienensemble unter geschickter professioneller Anleitung in der Lage ist. Birgit Schmalmack vom 2.4.19
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