Der Nabel der Welt
Wie an einer Nabelschnur hängen die Kreaturen, die die vier Götter aus dem Mittelpunkt der Welt herausgehoben haben. Noch sind sie unförmig, schlammfarben, ohne Konturen. Gestalten, die Schöpfer aus einem Klumpen Lehm geformt haben. Sie wurden aus dem Nabel der riesigen Schüssel über den Rand gehoben. Wie eine angerostete Satellitenschüssel steht sie leicht angekippt auf der Bühne. Als Nabelschnüre der Kreaturen wie aus Himmel nach oben gezogen werden, streifen sich dabei ihre schlammfarbene Überzüge ab und Menschen mit gestreiften Oberkörpern werden sichtbar. Wie Blütenblätter einer riesigen Blume entfalten sie sich um den Mittelpunkt ihres Universums. Noch sind sie Teil der Natur, ein funktionierender Bestandteil in einem größeren Zusammenhang. Als sie später zu Individuen werden, tauchen sie vereinzelt in wild übereinander gestreifter Streetware auf. Sie nutzen ihren Spielraum aus und tanzen in energetischen Bewegungen über das ganze Schüsselrund. Doch die Götter sind immer noch da. Sie bestimmen außerhalb ihres Sichtfeldes weiterhin das Geschehen. Sie lassen die Schüssel weiter rotieren, diesmal in höherer Geschwindigkeit und schon bald hat sich die Szenerie verändert. Nur noch wenige der menschlichen Individuen sind übrig geblieben. Die meisten von ihnen hängen wie tot im Gestänge. Zum Schluss ist nur noch eine einzige Tänzerin in der Schüssel zu sehen. Die Götter sind wieder an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt. Bei der letzten Umdrehung der Schlüssel öffnen sie einfach den Schlund in der Mitte und die Tänzerin stürzt hinab. Die Menschheit ist verschwunden. Die Erde hat weiterhin Bestand und die Götter werden einen neuen Plan schmieden. Der Choreograph Damien Jalet hat in seiner Arbeit Omphalos wunderbar ausdrucksstarke Bilder für unsere Erde, die Schöpfung, die Menschen und ihr Werden und Vergehen gefunden. Viele Assoziationen sind möglich. Katastrophen wie Kriege, Umweltzerstörung, Klimaveränderungen sind als Gründe für das Verschwinden der Menschen denkbar. Das Bild der großen Satellitenschüssel als Symbol für das Erdenrund deutet zugleich auf die Überheblichkeit des Menschen hin, der sich selbst zum Schöpfer aufspielen möchte und der dennoch den Überblick über die Gesamtzusammenhänge nicht erlangen kann, sondern stets nur bis zum Tellerrand zu blicken vermag. Jalets Zusammenarbeit mit den Musikern Ryuichi Sakamoto und Marihiko Hara, dem Bühnenbildner Jorge Ballina, dem Kostümdesigner Jean Paul Lespagnard und dem mexikanischen Tänzern erschuf ein faszinierendes Gesamtkunstwerk. Birgit Schmalmack vom 18.3.19
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Omphalos, Kampnagel Copyright: Emmanuel Adamez
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