Glückliche Tage, Malersaal

Glückliche Tage, Schauspielhaus

Das Wasser steht ihr bis zum Halse

„Das wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein, trotz allem.“ Dieses Mantra ist für Winnie überlebenswichtig. Dabei ist es offensichtlich, dass es ihr nicht besonders gut geht. Das Wasser steht ihr in ihrer Küche bis zur Taille und sie ist unfähig sich vom Fleck zu rühren. Nur ihre Arme kann sie noch bewegen. So ist der „Sack“, die schwarze Handtasche, die neben ihr auf dem Sofa liegt, ein stetes Reservoir an Ablenkungsgegenständen, mit denen sie sich den zu überstehenden Tag in kleine Zeitabschnitte aufteilt. Zähneputzen, Haare kämmen, Hut aufsetzen, Nägel feilen, Regenschirm aufspannen und zur Not die Brownie für den letzten Ausweg herausnehmen. Winnie weiß, dass es noch schlimmer kommen könnte: Noch liegt Willi neben ihr in seinem Loch, nur noch ein kriechendes, schweigendes Etwas, das nur entfernt Ähnlichkeiten mit ihrem früheren Ehemann hat. Doch jemand hört Winnie zu, wenn sie unentwegt plappert, sie muss nicht in die Wildnis sprechen. Sie weiß, dass sie das nicht ertragen könnte.
Nach der Pause steht ihr das Wasser nicht nur buchstäblich sondern tatsächlich bis zum Halse. Keine Arme, keine Brüste sind mehr zu sehen, nur ihr Kopf ragt noch aus dem Wasser. Eifrig betet Winnie trotzdem ihr Mantra weiter, doch ihr Gesicht und ihr Tonfall verraten deutlich, dass dies ihr die letzten Reserven kostet. Während ihr Mund noch ein Lächeln versucht, laufen ihr Tränen die Wangen herunter und die Stimmlage ist von betont heiter und aufmunternd zu grabesdüster gewechselt.
Katie Mitchell hat Samuel Becketts Stück noch eindrücklicher umgesetzt, indem sie Winnie statt in einem Erdloch in einer überfluteten Wohnung festsitzen lässt. Hier ist kein Entkommen möglich. Angesichts dieser Weltuntergangsbedrohung, die im Hinblick auf die Klimaveränderung für etliche Erdteile keine Fiktion mehr ist, werden die alltäglichen Verrichtungen, mit denen sich Winnie am Leben erhält, einerseits zu Würde erhaltenden Heldentaten und andererseits zu banalen Nichtigkeiten, und verstärken damit Becketts Intention. Dass dieser Effekt voll zur Wirkung kommt, liegt natürlich nicht zuletzt an der Hauptdarstellerin. Julia Weiniger ist schlicht grandios. Wie sie bewegungslos nur ihr Gesicht und ihre Stimme sprechen lassen, ist hohe Schauspielkunst.
Birgit Schmalmack vom 20.10.15


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