Wie eine Sahnetorte
Rocco hat einen Komplex. Doch er muss nicht zum Psychiater sondern drei Stockwerke unter die Erde, um an und in ihm zu arbeiten. Denn ihm gehört ein Keller-Tonstudio, ganz aus Beton. So tief mussten die Zuschauer zwar nicht heruntersteigen, um die besondere Atmosphäre in diesem legendären Tonstudio zu schnuppern. Der Malersaal ist zwar auch aus Beton, aber nur im ersten Untergeschoss. Hier erwartet sie jedoch kein kahles Studio mit Aufnahmegeräten, sondern ein opulentes Bühnenbild, das aus einer riesigen, begehbaren Torte besteht. Eine japanische Schlagersängerin hatte es anlässlich einer Aufnahme hereingeschleppt und dann dort vergessen. Wie allerdings der schwarze Totenkopf seinen Platz auf der Torte fand, bleibt bis zum Schluss ein Geheimnis. In ihm sitzt nun Rocco mit seinen drei Besuchern und sinniert über die Konstruktion von Realität. Wenn das Unvorstellbare zum Realen wird, kann sich niemand dieser erschaffenen Realität entziehen. Sie konstruiert Tatsachen, die nachträglich zur schicksalhaften Realität erklärt werden. So werden Liebeserklärungen zu Traumata, vor deren Wirkung man sich aber nicht schützen kann. Sie erschaffen Wirklichkeiten, die vom Symbolischen zum Erlebbaren werden. Dann wird der Alien, der in jedem Menschen schlummert, durch diese traumatischen Erfahrungen zum Leben erweckt und drängt mit seinen Emotionen an die bisher gut geschützte Oberfläche. Der Anschein der menschlichen Freiheit wird so schnell brüchig. Er kann nur noch einwilligen in das, was sowieso nicht zu ändern ist. Liebesschnulzen untermauern die emotionale Entladung. Wenn sie im rauchenden Totenkopf, der um sich selbst rotiert, vorgetragen werden, belegen sie die These der zwangsläufigen Dramatik. Martin Wuttke ist die Starbesetzung in Rene Pollesch Inszenierung seines Textes über „Rocco Darsow“. Er zelebriert die mäandernden Wortschleifen Pollesch so überdreht und durchgeistigt, dass man sie fast verstehen könnte. Auch die drei anderen (Sachiko Hara, Christoph Luser, Bettina Stucky) kommen im Laufe der eineinhalbstündigen Aufführung immer mehr in Fahrt. Das großartige Bühnenbild macht was her und bietet viel fürs Auge. Das ist auch nötig, denn die Schauspieler sind häufig nur in der Reproduktion der Liveaufnahmen zu sehen, während sie im Totenkopf qualmend diskutieren. Auch wenn dieses Stück immer noch nicht an die ersten Arbeiten von Pollesch im Schauspielhaus, die zum Kult wurden, heranragt, macht dieser Abend Spaß. So wird das Bühnenbild zum Symbol für das ganze Stück: viel Substanz vorgaukelnd, wohlschmeckend, süß und fluffig wie eine Sahnetorte. Birgit Schmalmack vom 21.12.14
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