Wolli Indienfahrer, DSH

Wolli Indienfahrer, Schauspielhaus



Ein sozialistischer Puffboss

Das Schauspielhaus war gut gefüllt. Viele wollten hören, was Hubert Fichte aus der Kiezlegende Wolli Köhler in einem seiner veröffentlichten Interviews herauslockte. In einer inszenierter Lesung wollte Rocko Schamoni damit an seinen letztes Jahr an einem Schlaganfall verstorbenen Freund erinnern.
Michael Weber setzte sich für Wolli in den roten Sessel und Schamoni für Hubert Fichte. Es gelang dem Abend gut, die Persönlichkeit von Wolli zu illustrieren. Der Hippie vom Kiez, der sich gerne in bunten Anzügen, mit langer Mähne und akkuraten Schnäuzer präsentierte, zeigte sich als humorvoller, gewitzter, offener und herzlicher Charakter. Doch so sehr er auch das Geld liebte, das er gerne für Huren, Alkohol und Hasch ausgab, verfolgte er doch stets eine Maxime: Für Geld würde er fast alles tun, außer es füge einem anderen (oder ihm selbst) Schaden zu. Als er Besitzer einer "Mädchenwohnheim"-Etage im "Palais D'Amour" und damit zu einem Puffboss wurde, hatte er vor, hier einen sozialistischen Puff zu betreiben. Er wollte am Ende eines Jahres die Gewinne aus den Miet- und Getränkeinnahmen fifty-fifty mit den Frauen teilen, die durchgehend ein Jahr bei ihm gearbeitet hatten. Das scheiterte aber daran, dass kaum Frauen so langfristig an einem Ort anschaffen gingen.
Wolli beantwortet freimütig alle Fragen, die ihm gestellt wurden: Geschlechtskrankheiten, Zuhälterverhältnisse, Lustempfinden der Frauen, Ansehen der Nutten, Sauberkeit auf dem Kiez und das Anschaffen seiner Frau. Doch manchmal musste selbst Wolli passen. Da war es gut, dass Hubert Fichte auch noch Linda interviewt hatte: eine Hure vom Kiez. Lina Beckmann stahl mit ihrer gespielten Naivität den beiden Herren in kurzer Zeit die Show. Ihre erfrischende Offenheit und Unbedarftheit, die Beckmann mit unnachahmlicher Präzision imitierte, machte den Abend erst rund. Sie plauderte all das aus, was die Zuschauer an diesem Abend ins Schauspielhaus gelockt hatte. Und sie las nicht nur vor, sie spielte tatsächlich ihre Rolle. Sie schilderte, wie sie die Freier mit ihrer liebevollen, aber strikten Charme einwickelte und nach ihren Wünschen dirigierte, sie erzählte von ihrer zunehmenden Abneigung ihrer Arbeit gegenüber, sie erläuterte ihre klare Trennung zwischen Privat- und Arbeitsleben und sie gab freimütig über ihr Lustempfinden Auskunft, das bei der Arbeit undenkbar wäre. So gingen die Zuschauer befriedigt über den informativen Abend nach Hause, wenn er auch ein verklärter Blick in die Vergangenheit war und keine Auskunft über heutige Verhältnisse gab.
Birgit Schmalmack vom 13.4.18


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