Wer im Glashaus sitzt
Zur Housewarming-Party wird geladen. In die freie, unbebaute Landschaft haben Robert (Yorck Dippe) und Linda (Julia Wieninger) ein Haus gesetzt, das zwar neu aber nicht modern ist, wie einer ihrer Gäste bemerkt. Hier soll die Heimat wieder genossen werden, nach etlichen Auslandsjahren in Thailand. Ein Neuanfang soll es werden, zumal Linda wieder schwanger ist. Ein Nesthäkchen nach der fast erwachsenen Tochter(Josefine Israel). Das Haus hat weniger Wände als Fenster. Was den Ausblick in die Natur gewährleisten soll, bieten aber besonders nachts auch freien Einblick. Bald stellt sich die Frage ein, ob da draußen jemand lauern könnte. Besonders als der merkwürdige Nachbar (Michael Wittenborn) vorbeischneit und von herumstreunenden Fremden erzählt, gegen die sich bereits eine Bürgerwehr gegründet hätte. Die Angst kriecht in die neu errichtete Bürgerlichkeit. Als der Arzt (Markus John) von seinem parkenden Auto mit einer Platzwunde am Kopf zurückkehrt, ist allen klar: Die erdachte Gefahr ist real und sie zücken ihre Waffen, die sie alle griffbereit zur Hand haben. Alle fürchten sich, das Haus zu verlassen und quartieren sich beim Ehepaar ein. Obwohl bald das Wasser und die Vorräte ausgehen, verschanzen sie sich weiterhin wie auf dem Präsentierteller. Karin Beier zeigt nach Motiven eines Filmes von Luis Buñuel eine Gesellschaft, die gefangen ist in ihrer Paranoia vor dem Fremden. Dabei gibt sie sich international und weltgewandt. Man arbeitet im Ausland. Roberts Chef ist schwarz und spricht französisch (Sayouba Sigué), seine Freundin ist Engländerin und die Frau des Arztes ist Japanerin (Sachiko Hara). Zu Beginn blickt der Zuschauer wie ein zufälliger Beobachter auf das Geschehen im Haus mit abgedrehtem Ton. Erst allmählich kann er auch ihre Gespräche verfolgen und bekommt Einblicke in ihre Ängste. Doch es wird kein Fremder auftauchen. Alle Gefahren lauern nur im Inneren, nur von ihnen selbst geht die Gewalt aus. Direkt vor den Augen der stillenden Mutter vergewaltigt der Arzt die ältere Tochter. Die Mutter sieht stumm zu, während sie ihr frisch Geborenes wiegt. Zum Schluss wird sie dem Kleinen erzählen, in was für eine Welt es geboren worden sei: Sie sei frei. In diesem Haus seien sie sicher, denn sie würden es nie verlassen. Karin Beier liefert hier ein Theaterexperiment. In den Glaskasten setzt sie eine bürgerliche Gesellschaft vor die Augen der bürgerlichen Zuschauer. Sie dürfen ihnen beim Angsthaben zuschauen und in der Übersteigerung ihren eigenen Wahnsinn erkennen. Das ist ohne Zweifel auf die Spitze getrieben, aber als Katharsis vielleicht notwendig, wenn man die neuesten Auswüchse der Angst in Europa betrachtet? Dennoch bleibt das Stück in der Versuchsanordnung stecken. Beier verharrt wie der Zuschauer in der Beobachterposition und belässt die Akteure in ihrem Glaskasten und ihr Publikum davor. Birgit Schmalmack vom 2.1.17
|