Brain Projects, Schauspielhaus

Brain Projects Rimini Protokoll

Unerforschliche Strukturen

Wer bin ich? Formt mein Gehirn mein Sein? Was bin ich ohne mein Gehirn? Bestimmt die Größe meines Gehirn mein Bewusstsein? Bin ich etwa mein Gehirn?
Eine Neurowissenschaftlerin, ein Neurokritiker und eine ehemalige Komapatientin versuchen in ihren Brain Projects das Gehirn zu ergründen. Doch schon bei einem Begriff dafür scheitern sie. Ist es ein Organ, ein System oder ein Interpretations- und Vorhersageinstrument, wie die Wissenschaftlerin es formuliert? Für Lobna Allamii wurde es zu einer Frage des Weiterlebens. Nach dem Schuss einer Tränengaspatrone auf ihren Kopf bei einer Demonstration im Gezi-Park fehlten ihr Dreiviertel ihres Gehirns und sie lag 21 Tage im Koma. Als sie wieder aufwachte, konnte sie keine ihrer bis dahin erlernten Sprachen: Weder arabisch, noch türkisch, englisch oder deutsch. Die geborene Libanesin, die mit zehn Jahren in die Türkei gekommen war und zuletzt in Berlin lebte, musste sich mit Gesten verständigen. Erst allmählich konnte sie die Vernetzungen in ihrem Gehirn wieder reaktibieren. Sie musste fast alle ihre Gehirnstrukturen neu konfigurieren.
Ihr Brain Project ist an dieser neuen Produktion von Rimini Protokoll das beeindruckendste. Es berührt und interessiert. Ansonsten berichten die Athener Forscherin Irini Skaliora über ihre Experimente an Mausgehirnen, die sie dafür in kleinste Scheiben schneiden lässt und deren Aktivitäten misst. Rückschlüsse auf menschliche Gehirnstrukturen ließen sich dadurch nur bedingt ziehen, wie Felix Hasler immer wieder kritisch anmerkt. Er selbst war lange ebenfalls in der Forschung tätig, bevor er ihr den Rücken kehrte. Er forschte über den Einfluss von Drogen auf das Gehirn von Menschen. Als ihm einer der Probanten schließlich berichtet, dass er unter LSD Gott gesehen hätte und dabei bei seiner Computertomographie gar nichts zu sehen waren, wechselte er von Zürich nach Berlin und wurde zum kritischen Beobachter der Forscherzunft, die zu gerne die Geheimnisse des menschlichen Gehirns entschlüsseln möchte. Und daran scheitert, wie auch der Abend von Rimini Protokoll beweist. Die Negation einer Hypothese ist natürlich auch eine Erkenntnis. Doch dann hätte es mehr von den emotionalen Qualität eines "Lobna-Projects" gebraucht, um diese Arbeit von Rimini Protokoll durchgängig interessant zu machen.
Birgit Schmalmack vom 25.9.16


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