Das Erbe des Krieges
Über Nacht ist zwischen den Nachbarn eine Mauer gewachsen. Wer vorher befreundet war, wurde zu Feinden erklärt. Auch das Liebespaar Oona und Aki wurde getrennt. Nun, nach 15 Jahren steht Aki wieder vor der Tür der früheren Nachbarn. Doch Oona ist nicht mehr da. Sie hat aufgrund der Trennung Selbstmord verübt. Ihre kleine Tochter, die sie zurückließ, glaubt, dass die Tante Altai und der Onkel Ron ihre Eltern sind. Den Mann vor der Tür hält sie für einen Fremden. Man lässt sie leider so lange in diesem Glauben, bis es zu spät ist. Da hat das Mädchen schon einen folgenschweren Entschluss gefasst. Dea Loher hat das Libretto zu „Weine nicht, singe!“ geschrieben. Michael Wertmüller hat daraus eine Oper gemacht, die den Gefühlen des nicht Sagbaren eindrückliche Klänge verleiht. Da flüstern, da schreien, da kreischen, da trauern, da weinen sie selbst, wenn sie singen. Regisseurin Jette Steckel hat unter die hervorragenden und spielstarken Opernsänger (Holger Falk, Jürgen Sacher, Ruth Rosenfeld) bewusst zwei Schauspieler gemischt. Die beeindruckende Tina Keserovic als junges Mädchen Mira und Joseph Ostendorf als Großvater Zeno, der aus dem Krieg drei Granatsplitter davon trug und sie als Anstachelung für sein Gehirn begreifen will. Er ist den „fucking“ Krieg mit all seiner „Kriegstreiberscheiße“ leid. Doch er sieht an seiner eigenen Enkelin, die mit der Lüge um ihre Herkunft aufwuchs, dass auch die folgenden Generationen das Erbe des Krieges in sich tragen. Florian Lösche hat dazu eine Lichtgewitterbühne mit einem Led-Himmel erfunden, der den dunklen schwarzen Ascheboden kurzfristig mit grellen Blitzen erhellt. Die mit Kartoffeldruck verfremdeten Kleidungsstücke und Hautpartien sind vertraut und irritieren zugleich. Dirigent Titus Engel ist Teil des agierenden Ensembles. Wie ein irrlichternder Derwisch dirigiert er alle mit seinem Leuchtstab, der manchmal zu einer rot leuchtenden Waffe werden kann. Wertmüllers Musik ist anstrengend und herausfordernd. Wie sich das Orchester aus dem Kammer-Ensemble Resonanz und den Jazzmusikern Steamboat Switzerland zusammen setzt, so mischen sich in seiner Klangsprache kammermusikalische mit jazzigen Elementen. Wertmüller verwendet selbst während einer Partie unterschiedliche Tempi, so dass sich der Effekt des Zerrissenseins einstellt, der wunderbar zum Verhandelten passt. Ein eindrucksvoller Abend, für den Jette Steckel genau die richtigen schlichten Bilder fand und der zu Recht mit lang anhaltendem Applaus vom begeisterten Publikum gefeiert wurde. Birgit Schmalmack vom 11.10.15
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