Moskau, Tscherjomuschki, Opera stabile

"Moskau, Tscherjomuschki", Opera stabile

Ein Traum wird wahr, oder?

Zum Schluss stürzt er, wie eine Leninstatue, der Verwalter des neuen Häuserkomplexes. Er fühlte sich so sicher in seiner Rolle als Herrscher über alle Schlüssel. ER gewährte Zugang zum Paradies, oder eben auch nicht Sie nur denjenigen rausgerückt, die ihn nach alten Gewohnheiten mit viel Barem schmierten oder deren Befehlen er sich nicht widersetzen konnte. Dabei sollten es doch paradiesische Zustände werden, draußen vor der Stadt in den extra vom fürsorglichen Staat errichteten Quartieren. "Ein Traum wird wahr!", versichern sich die Stadtbewohner immer wieder, während sie im Zug sitzen, der sie Ende der 1950ger raus bringen soll in ihre neue Traumwohnstatt, in die frisch erbaute Trabantenstadt Tscherjomuschki. Ihre alten Quartiere in der Innenstadt werden abgerissen, doch Vater Staat schaffe besseren Ersatz. Die Berechtigungsscheine halten sie in den Händen, doch sie sollen ihnen erst einmal nichts nutzen. Der Schlüsselverwalter zerreist die Papier kurzerhand in kleine Schnipsel. Wieder einmal sind die kleinen Leute machtlos. Der alte Kader hilft sich nur gegenseitig.
Doch das sind sie schließlich gewohnt. Dann rückt man eben enger zusammen und teilt das wenige, was einzelne schon haben. Die verfügbaren Wohnzimmerlampen werden in die eine schon bezogene Wohnung getragen und das abendliche Essen kann beginnen.
Die Bühne besteht aus lauter Umzugskartons, die zu allem Möglichen werden können. Sie sind die alte oder neue Wohnung, der Zug, das Podest, der Tresen oder Möbelersatz. Mit ihnen ziehen die Darsteller des Opernstudios schon durch das Foyer, wo sie als Bauarbeiter von den rosigen Immobileinaussichten künden. In Gips sind alle Pflanzen eingetaucht, die den Zuschauerraum schmücken. Die Natur wird in Mitleidenschaft gezogen, wenn die Bauträume in Beton gegossen werden sollen.
Schostakowitschs Sowjetoperette „Moskau, Tscherjomuschki“ in der Hamburger Opera stabile wurde unter der Regie von Vera Nemirova zu einer höchst aktuellen Satire auf das Thema der Gentrifizierung, wenn auch in einer anderen Form als in den westlichen Städten gewohnt. Mit ihrem stimmgewaltigen und spielfreudigen Ensemble des Opernstudios gelang ihr ein tiefgründiger und humorvoller, unterhaltender und intelligenter Abend in der Opera stabile.
Birgit Schmalmack vom 17.7.19


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