Germanische Amazonen
Ihre Großväter stammen nicht aus Deutschland. Sie sind die „Germania Kids“. Doch sie wollen auf keinen Fall so sein wie die langweiligen Herkunftsdeutschen in ihrer Kukidentoase der Fußföhner. Sie sind Kriegerinnen, doch nur in eigener Sache. Amazonen, die sich zu keiner Allianz zusammentun können. Zu unterschiedlich sind ihre Ansichten. Denn sie wollen nicht in einen Topf geworfen werden. So kämpfen sie nur für sich alleine, zum Teil auch gegeneinander. Jede ist ihre eigene Logoträgerin. Jede kreiert ihre eigene Individualität, die komischerweise einander sehr ähneln. Alle vier sind sie Fashionvictims, die ihren Körper zur Schau tragen. Kein Gramm zuviel darf nach dem neusten Schönheitsideal zu sehen sein. Fitnessstudiogestählt werfen sie sich in den Konkurrenzkampf. Im Land der arischen Nasen plädiert die eine für Integration durch Operation. Sie tritt ein für die Unabdingbarkeit einer Schönheits-OP, damit die Eingliederung auch äußerlich sichtbar wird. Die andere outet sich als zu Anhängerin des unbedingten Konsums, denn nur dieser Rausch macht wirklich frei. Doch kann man Gott wirklich in einer Plastiktüte nach Hause tragen? Migrationshintergrund schützt von Rassismusanflügen nicht. Gerade um die eigene Position zu stärken, plädiert eine von ihnen schon mal für die Austrocknung des Abschaums am Rand der Gesellschaft. Eine rühmt sich ihrer großen sexuellen Offenheit, aus der sie Kapital zu schlagen versucht: Sie ist eine „risky hostess“, die sich für Geld reichen Herren zur Verfügung stellt. Ihre Weiblichkeit stellen alle diese Amazonen aus, doch sie hat bei ihnen keine Spur von Unterwürfigkeit und Abhängigkeit. Diese Frauen solidarisieren sich nicht miteinander, aber sie brauchen auch keinen Versorger. Jede von ihnen hat ein anderes Lied auf den Lippen. Ob nun ein türkisches Volkslied, „Der Mond ist aufgegangen“, Kommt ein Vogel geflogen“ oder „Bin ein wild Vögelein“. Sehnsucht nach Romantik bei gleichzeitigen kampfbereiten Auftreten. Wofür sie in den Kampf ziehen? Für ihr Recht auf ihren eigenen Weg! Regisseur Telat Yurtsever hat aus den fiktiven Interviews „Kopf und Kragen“ von Feridun Zaimoglu einen Bühnentext geschnitten, den die vier Schauspielerinnen (Svenja Ipsen, Canan Suvatlar, Leonie Fuchs, Elena Koveou) mit vollem Körpereinsatz auf die schwarze leere Bühne des Sprechwerkes bringen. Die sprachgewandten Texte werfen ein Licht auf die dritte Generation, die überrascht, irritiert und jegliche Klischees über den Haufen wirft. Das sind Deutsche, die ihren Goethe und Aischylos kennen und so geschickt mit Leben füllen können, dass Biodeutschen vor Erstauen der Mund offen stehen bleibt. Der kurze, knackige, tempo- und energiereiche Abend hat viel mehr Zuschauer verdient als die klägliche Anzahl, die bisher den Weg ins Sprechwerk fand. Birgit Schmalmack vom 14.11.14
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Germania Kids von Telat Yurtsever
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