Die Weißfläche lässt Leerstellen der Verantwortung frei
Wie ein weißes unbeschriebenes Blatt Papier sieht die Bühne aus. Rechts und links davon haben die Schauspieler Platz genommen. Der Weißraum lässt die Leerstellen der Gesellschaft unkaschiert. Die Geschichte, die sich hier abspielt, wirkt wie ein Gedankenexperiment, das teilweise schon Wirklichkeit geworden ist. Als der Vater (Frank Jordan ) in seiner Eigenschaft als Wachmann eine Journalistin (Sarah Kattih) vor der sexuellen Belästigung durch einen Schwarzen beschützen will, prügelt er ihn zu Tode. Sein Sohn (Rune Jürgensen), der im Gefängnis sitzt, sieht in dem folgenden Medienrummel eine Chance zur politischen Einflussnahme. Der Vater hält die Reden, die sein Sohn ihm schreibt. Er wird zum Anführer einer Bewegung. Als der Sohn wieder rauskommt, ist sein Platz an der Spitze besetzt. Doch ihm wird eine andere Position angeboten. Und zwar von seiner Bewährungshelferin. Der nächste V-Mann ist installiert. Das Theaterstück "Weißer Raum" ist harter Tobak. Er zeigt eine Bundesrepublik, die im Geheimen agiert. In der der Ausspruch "Ein Glück sind wir ein Rechstaat" fast wie Hohn klingt. Die Rechtsradikalen arbeiten mit den Behörden zusammen. Die Grenzen zwischen Verfassungsschützern und Verfassungsgefährdern verschwimmt. Da werden Anzeigen einkassiert, da werden Täter frühzeitig entlassen. Auch die Rolle der Medien wird von Autor Lars Werner hinterfragt. Welche Rolle die Journalistin spielt, bleibt lange im Unklaren. Wie beeinflussen sich die Mitglieder einer Familie in ihrer politischen Meinung gegenseitig? Ab wann ist jemand käuflich? Wie entsteht eine gesellschaftliche Stimmung, die keine offene Diskussion mehr zulässt? Ab welchem Zeitpunkt ist die Demokratie in Gefahr? Wie kann der Staat die ausgleichenden Kräfte unterstützen? Nach der Pause ist das weiße Bühnenblatt mit "Nazi raus!"-Parolen besprüht. Doch diejenigen, die diese Meinungen vertreten könnten, bleiben in diesem Theaterstück unsichtbar. Hier liefern sich die rechtsradikale Szene, der Staat und die Medien ein eigenes Gefecht. Die öffentliche Meinung einer Demokratie bleibt in "Weißer Raum" bewusst eine Leerstelle. Regisseur Hartmut Uhlemann lässt im Laufe seiner konzentrierten und schmucklosen Inszenierung die Schauspieler immer wieder an die Rampe treten und ins Publikum sprechen. Der weiße Raum soll von den Zuschauern gefüllt werden. Eine kluge Entscheidung. So eindringlich schilderte dieser Abend die verdrängten Teile der Wirklichkeit, dass er zum anschließenden Diskutieren herausforderte. Birgit Schmalmack vom 24.10.19
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