Wir blicken hinein in das Innere einer Maschine. Fünf in Treppen angeordnete Arbeitsplätze sind vor den silbrig glänzenden Röhrenhintergrund (Bühne: Henrike Engel) angeordnet. Auf ihnen sitzen eine weibliche Kontrollinstanz (Sandra Gerling), drei männliche Speicher und ein Soundmaschinist (Camill Jammal) hinter viel Kabelgewirr. Doch nicht etwa in den Algorithmus einer KI gibt es hier einen Einblick sondern in das Lochkartenspeichersystem der 1960ziger Jahre. Und dennoch zeigt der Text von Georges Perec, der eigentlich als Hörspiel konzipiert war, viel von den Vorgängen, die auch heute noch Anwendung finden dürften. Besonders wenn man sich ein Material als Datensatz vorknöpft, das aus dem Reich der Poesie stammt. Es ist ein scheinbar hingeworfenes Kurzgedicht von Johann Wolfgang von Goethe, der Erzählung nach mit Bleistift auf die Wand einer Holzhütte gekritzelt, die später abgebrannt ist. Es spricht von der Ruhe des Waldes, die den Menschen daran gemahnen soll, dass auch sein Ende bald kommen werde. Mit diesem Datensatz aus acht Zeilen veranstaltet die Kontrollinstanz nun allerlei Spielereien. Mal soll jedes zweite Wort ausgelassen, mal jeder erste Buchstabe ausgetauscht, mal nur das erste Wort jeder Zeile gesprochen werden. Ihre kruden Vorschläge kennen kein Ende und brav arbeiten die drei männlichen Speicher alles mit schweißtreibendem Eifer ab. Nur ja keinen Fehler machen! Manchmal müssen sie die Finger zur Hilfe nehmen, mal machen sie sich Notizen, mal benutzen sie ihren ganzen Körper, um die gestellten Aufgaben zu erfüllen. Moritz Grove, Daniel Hoevels und Christoph Jöde schaffen es spielend, jeden möglichen Sprachwitz herauszukitzeln, indem sie ihren Ehrgeiz zelebrieren. Und doch können sie nicht umhin - dann nicht nur Speicher sondern auch Menschen - ein klein wenig Sinn aus dem Unsinn zu extrahieren. Sie kreieren aus den Wortaneinanderreihungen mal Fragen, mal Ausrufe und mal Nachdenklichkeiten. Wenn der Erschaffer dieses vermeintlichen Unsinns in persona auftaucht, Perec als Denker im Monteuranzug zu seinem typischen Spitzbart und lockigem Haarschopf, ergießen sich dagegen philosophische Überlegungen zum Verhältnis von Sprache und Denken, zwischen Wörtern und Inhalten und zwischen Dichtung und Leben in langen Sätzen. Was Perec hier sein soll oder will - Autor, Lenker oder Gott - bleibt offen. Aber soviel wird klar: Jemand wacht über der Kontrollinstanz der Speicher, auch wenn er im Bühnenhintergrund bleibt, in den sich die Maschinisten nur vorwagen, wenn es darum geht, im freien Raum "comtempary body movement" zu den Gedichtzeilen zu erproben. Was bleibt also übrig, wenn man Datensätze von lyrischem Material durch die Maschinen jagt? Im Schauspielhaus unter der Regie von Anita Vulesica und mit dem Spielenthusiasmus des exzellenten Ensembles vor allen Dingen sehr viel Spaß. Und nebenbei die Erkenntnis, dass nur der Mensch aus Sprache einen Sinn zu ziehen weiß. Ansonsten ist am Schluss nur vielsprachige Leere, die das Ensemble minutenlang ohne Sinn und Verstand ausspuckt, während der Lochkartendrucker endlose Papiere ausdruckt. Birgit Schmalmack vom 30.12.24
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Die Maschine oder: Über alle Gipfeln ist Ruh, DSH Foto: Eike Walkenhorst
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