Hier ist alles etwas anders: Zwar wollen die Götter immer noch alle Fäden in der Hand halten, doch sie scheinen eher aus der Hipster-Szene einer deutschen Großstadt zu stammen als aus dem Olymp. Zeus kommt mit Goldhose daher, Demeter mit Öko-Blumenkranz, Hermes leicht verwirrt mit Federn am weißen Glitzer-Anzug. Sie sollen sich um Odysseus kümmern. müssen sich aber erst einmal mühsam daran erinnern, wer dieser Typ denn eigentlich noch war. Auf die Suche nach dem verschollenen Odysseus macht sich dann auch nicht der Sohn Telemachos sondern die Tochter Telemake. So sorgt eine junge Frau letztendlich dafür, dass ihr Vater wieder den Weg nach Hause findet. Natürlich mit ein bisschen Unterstützung der Götter. Wild durcheinander geschüttelt wird hier von Überschreibungsautor Daniel Schütter die alte Geschichte von Homer. Diese Wesen dort auf der Bühne des Ernst Deutsch Theaters sind alle ganz von heute, ob nun in Götter- oder in Menschengestalt. Schütter reichert sie nicht nur um Aspekte der Diversität und Gleichberechtigung an, sondern auch um Probleme von heute. Angesichts des Klimawandels fragen sich nicht nur die Götter, ob sich der ganze Aufwand mit der Lenkung der Menschen überhaupt noch lohnen würde. Zerstören die nicht gerade ihren Planeten? Bei Schütter wird Odysseus zudem von einem Helden zu einem Flüchtling, der seine Heimat verloren hat. Zwanzig Jahre war er von zuhause weg. 10 Jahre im Krieg und 10 Jahre in den Fängen einer Göttin, die sich in ihn verliebt hatte und ihm dafür Unsterblichkeit bot. Erst als die Götter ihr den Auftrag geben, ihn nun loszulassen, kann er sich auf den Rückweg machen. Doch was wird er dort vorfinden? Wie hat er sich verändert, wie hat sich sein ehemaliges Heimatland verändert? Wie haben sich seine Erfahrungen im Krieg und in der Gefangenschaft in seine Psyche eingegraben? Diese Erfahrungen, die Millionen Geflüchteter und Kriegstraumatisierter heutzutage durchleben müssen, spiegeln sich in den Gefühlen, die diesen veränderten Odysseus auf der Bühne umtreiben. Es wird ein langer Theaterabend, denn die acht Gesänge der Original-Odyssee bilden auch im EDT die Grundlage. Doch sie werden von einem spritzigen jungen Ensemble (Nina Sarita Balthasar, Rune Jürgensen, Julian Kluge, Yann Mbiene, Ines Nieri, Birgit Welink) mit vielen Ideen abwechslungsreich in Szene gesetzt. Ständige Rollenwechsel, in Ganzkörpertütüs, in Leopardenlook, auf Spitzen oder mit E-Keyboard, mal ironisch und mal ernst, mal unterhaltsam und mal tragisch - für Abwechslung ist stets gesorgt. So wird der lange Theaterabend nie langweilig und der Antikenstoff auch einem heutigen Publikum sehr nahe gebracht. Der lang anhaltende, begeisterte Applaus war dem Team unter der Regie von Johanna Louise Witt am Schluss sicher. Immer wieder musste es auf die Bühne kommen, als sich die Zuschauer:innen für seine beeindruckende Leistung und den bereichernden Abend bedanken wollten. Ein schöner Anfang einer neuen Theaterseason.
Birgit Schmalmack vom 12.9.24
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Odyssee, EDT (c) Oliver Fantitsch
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