Johann Holtrop, Kampnagel

Mit Siegerlächeln in den Abgrund


Selbst ganz am Schluss lächelt Dr. Holtrop (Melanie Kretschmann) immer noch. Selbst kurz vor seinem letzten Schritt auf die Gleise zeigt er seine Reihe blitzweißer Zähne. Das Siegerlachen ist ihm so zur zweiten Natur geworden, dass er nicht anders kann, als auch sein Scheitern als Erfolg zu verkaufen. Denn das ist er, ein Verkäufer, ein genialer Marketingvertreter, ein Werber für sein eigenes Handeln, mag es auch so häufig in den Abgrund führen. Er ist und bleibt ein Macher. Oder wie er sich selber sieht: ein Künstler. Er gestaltet die Wirtschaft wie ein Kunstwerk nach seinem Willen. Zumindest glaubt er das, so lange, bis alles den Bach heruntergeht und die Insolvenz droht. Er findet in seinem Umfeld immer wieder willfährige Mitläufer, die ihm huldvoll zur Seite stehen. Denn wer das Geld anzieht, hat recht. So lange, bis das Geld wieder von ihm wegströmt.
Für Rainold Goetz, den Popliteraten, war der Fall Middelhoff ein Vorbild für seine fiktive Figur des Dr. Holtrop. Regisseur Stefan Bachmann hat für seinen Roman eine kongeniale Umsetzung gefunden: Er hat ihn zu einer Rap-Oper gemacht, in der alle Personen zu skurrilen Figuren auf dem Schachbrett des Kapitalismus werden. Während sie kurz im Rampenlicht der Aufmerksamkeit stehen, verschwinden sie danach wieder im Dunkeln der Unbedeutsamkeit. Das wird möglich durch das Bühnenbild von Olaf Altmann, der mit Gummibändern Räume erschafft, die nur durch ihre Beleuchtung sichtbar werden. Die Live-Band auf der Bühne gibt dazu den Soundtrack vor.
Der reine Schauspielerinnen-Cast (Nicola Gründel, Anja Lais, Rebecca Lindauer, Lea Ruckpaul, Cennet Rüya Voss, Luana Velis, Ines Marie Westernströer) ist zuständig für die gesamte Personage des Romans und springt im dauernden Wechsel von einer Rolle in die nächste. Ihre Dialoge werden fast durchgehend in einem Sprechgesang und mit einer speziellen Bewegungschoreographie vorgetragen. Dieses Konzept hätte allzu künstlich wirken und die Personen zu Klischeefiguren werden lassen können, doch Bachmann hat genau an den richtigen Stellen, in denen es an die psychologische Substanz geht, den künstlichen Sprachduktus verlassen und den Persönlichkeiten mit all ihren Besonderheiten ihren Raum gegeben. Ein inszenatorisches Highlight des diesjährigen Festivals, das ganz neue Seiten am Altmeister Bachmann zeigte.
Birgit Schmalmack vom 24.7.24


Johann Holtrop, Hamburger Theaterfestival

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