Für den einen war es ein merkwürdiger, etwas verunglückter Partyabend, für die andere eine zunächst verdrängte, dann doch traumatische Erfahrung. Der eine ist Ronan (Matti Krause), der stolze Besitzer eines gerade eröffneten, stylischen Restaurants namens Fleisch. die andere ist Maxine (Eva Maria Nikolaus), eine angesagte Bloggerin mit einer großen Zahl an Followern, die nun ihr erstes Buch herausbringen will. Dank der Erinnerungshilfen ihrer Verlegerin, die noch ein wenig mehr "Fleisch" fürs Buch herauskitzeln wollte, wurde Max sich ihres "Traumas" endlich bewusst. Also will sie Ronan vor der Veröffentlichung über ihre Enthüllung in Kenntnis setzen. Das kommt ihm gerade jetzt zur Eröffnung seines Business ziemlich ungelegen. Ein Me-Too-Skandal wäre wohl kaum als gute Werbung zu bezeichnen. Doch sei es nicht eh egal, was er dazu sagen würde, fragt er sich resignierend. Bekäme er als vermeintlicher Täter nicht eh die Schuld? Jo (Ruth Marie Kröger), die Dritte in diesem Bunde, spielt zunächst nur eine dekorative Rolle, wird aber als Katalysatorin der Wahrheitsfindung immer wichtiger. Doch so klar der Sachverhalt zu Beginn von "Fleisch" auch scheint - im Laufe der Aufführung im Rangfoyer des Schauspielhauses werden alle Klarheiten konsequent in Frage gestellt. Wer hier Täter und wer Opfer ist, darüber kann man auch am Ende immer noch vortrefflich diskutieren. So schützt der klug aufgebaute Text von Gillian Greer und die geschickte souveräne Inszenierung von Julia Redder vor vorschneller Einsortierung und vor unbedachten Urteilen. Nicht eines ist am Ende klar: Einzig die eindeutige Kommunikation, das offene Gespräch schützt vor Fehleinschätzungen und vor Verletzungen. Das gilt auch in dem sensiblen Bereich der intimen Zweisamkeit, in dem es naturgemäß meistens an Zeugen fehlt. Birgit Schmalmack vom 6.10.23
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