Mühsam quält sich die alte, abgemagerte Dame mit krummem Rücken in ihrem feinen gelben Chanelkleid auf das Segelboot hinauf. Denn sie ist keine, die aufgibt. Obwohl sie sicher schon bessere Zeiten gesehen hat, weiß sie mit ihrem Auftreten sofort klarzumachen, mit wem die Menschen es hier zu tun haben. Sie verschafft sich den Respekt, den sie ihrer Meinung nach verdient. Angela Winkler ist eine Idealbesetzung für diese selbstgewisse alte Dame, die selbst mit ihrem Rollator so durch die Gegend kurvt, als wenn es ihr früherer Mercedes wäre. Zeichen der Schwäche offenbart sie nur, wenn sie es für zweckdienlich hält. Ihrer Arroganz und ihrem Machtbewusstsein des Schweizer Geldadels schadet auch ein krummer Rücken und ein künstlicher Darmausgang nicht. Als sie ihren Sohn Christian zu sich nach Zürich einbestellt, sind die Machtverhältnisse scheinbar von vornherein klar. Sie ist die alles beherrschende und anherrschende Mutter und er der unterlegene Sohn, der alles hinzunehmen hat. Bis er aus der Opferrolle in die aktive umschwenkt und sie kurzerhand mit auf eine Reise nimmt. Viel Zeit hat er schließlich nicht mehr, um auch für sich die Vergangenheit konfrontativ anzugehen, um sie zu verarbeiten. Und dafür braucht er seine Mutter, so lange sie noch lebt. Während die Mutter von einem Trip in ihr geliebtes Afrika träumt, kurvt er mit ihr durch die Schweiz. Den Sohn treibt vor allen Dingen eines um: Wie konnte die Mutter zu der Nazivergangenheit ihres Vaters Zeit ihres Lebens schweigen? Ihre unausgesprochene, lakonische Antwort: Genau so, wie wir beide die ganze Zeit geschwiegen haben.
Ihre gemeinsamen Erinnerungsziele muten belanglos an: Eine ökologisch germanistische Kommune, bei der Christian gute Menschen zu treffen hoffte, das ehemalige Haus, in dem sein Vater lebte, das Haus seiner Kindheit, eine Seilbahnfahrt auf einen Gletscher, bei dem die Muter zwar kein Edelweiß aber dafür einen Fuchs erblickt.
Die höchst intime Reise der beiden wird in Jan Bosses Bühnenadaption von Christian Krachts Roman im Rahmen des Hamburger Theaterfestivals zu einem Schauspielerfest für Joachim Meyerhoff und Angela Winkler. Während Meyerhoff durchgehend dem Affen Zucker gibt, changiert Winkler gekonnt zwischen gespielter Hilflosigkeit, gezielter Manipulation, Boshaftigkeit und Lebensmüdigkeit. Sie ergeben zusammen ein skurriles Pärchen, das sich wenig schuldig bleibt. Der Abend wird zu einem intimen und intensiven Zwiegespräch zwischen den Generationen über Familie, Schweigen, Traumata, mangelnde Verantwortung, und Kontinuität der Macht.
Wahre Vornehmheit braucht eben keine Gucci Tasche sondern kann ihr Reisegeld einfach in einer Plastiktüte mit sich tragen. Damit ist die Haltung der Mutter treffend beschrieben. Ob sie diese trotz oder wegen der Nazivergangenheit ihres Vaters bewahren konnte, ist am Ende keine Frage mehr sondern zu einer Gewissheit geworden. Doch Meyerhoff macht in seinem Spiel deutlich, dass die jüngere Generation keinesfalls mutiger ist. Der Sohn leistet sich seine offensive Offenheit nur, weil sie für ihn mittlerweile mit keinerlei Risiko mehr verbunden ist. Selbst dem möglichen Streit mit seiner Mutter ist er schließlich 50 Jahre lang aus dem Weg gegangen. Birgit Schmalmack vom 12.6.23
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Eurotrash © Fabian Schellhorn
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