Die rote Showtreppe gleicht eher einem Hindernisparcour als einer glamourösen Auftrittsfläche. Der Reifen, durch den die Künstler:innen hindurchkrabbeln müssen ist zu klein für einen souveränen Durchgang, die Neonröhren, die sie erstrahlen lassen sollen, sind zu einem engen V geformt und an den Rändern der Treppe sind tricky Stolpererhebungen eingebaut. Der Beginn einer steilen Karriere sieht anders aus. Ganz im Gegenteil, die große Bühne bleibt für die meisten von ihnen mit unüberwindlichen Hürden versperrt. Doch die Fünf stellen sich dem Battle. Sie fordern ihn sogar heraus. Der Opernbetrieb soll sich ihnen in Matches auf dem Wrestling-Weich-Boden stellen. Ob es nun das Match gegen die Unsichtbarkeit, gegen die Intelligenz, gegen den Stuhl oder die Stimmlage ist. Denn immer geht es nur um das Eine: Jede:r, die oder der diesen Traumberuf ergreifen möchte, muss sich einpassen in das strenge Regelkorsett des Opernrepertoires. Schon die Stimmlage entscheidet über den Charakter des Rollenfaches. Sopran bedeutet das schöne weibliche Opfer zu sein, Alt die böse Schwiegermutter, Intrigantin oder Hexe, Bariton der weise Alte oder böse Nebenbuhler und Tenor der strahlende, heldenhafte Retter. Wer diese Klischees schon optisch nicht erfüllt, fliegt raus. Wenn eine Schwarze Opersängerin (Isabel Wamig) vorspricht, bekommt sie nur Angebote für Porgy and Bess, wenn eine Frau mit einer Beinprothese (Christina Schmid) zum Casting erscheint, heißt es, sie würde die Menschen bei ihrem Anblick nur traurig machen. Eigenständigkeit ist ebenso wenig gefragt: Lisa Florentine Schmalz glaubt einfach nicht an die Unterwürfigkeit ihrer Rolle der Pamina und kämpft sich durch eine ellenlange Liste an guten Ratschläge ihrer Gesanglehrerinnen. Während Holden Madagame als Mezzosopran noch interessante Rollenangebote zwischen dem binären Geschlechterkodex bekam, ist er nun nach seiner Transition plötzlich für einen Tenor nicht männlich und groß genug. Da wird ihm sofort ein Stuhl untergeschoben. Johannes Euler zeigt durchgehend seinen durchtrainierten Oberkörper, um seine Einsetzfähigkeit optisch zu untermauern. Im Garderobenraum neben der Showtreppe können sie ihre Gedanken frei äußern, während sie sich für ihre nächste Herausforderung umkleiden. So ist ein fast dreistündiges Mattentraining entstanden, das von der großen Persönlichkeit der Beteiligten lebt. Hier dürfen genau das tun, was der Meistersänger Jonas Kaufmann so vollmundig in seinem vorangestellten Werbevideo verkündete: Sei einfach du selbst. Doch genau das geht im herkömmlichen Opernbetrieb nicht. Deswegen braucht es solche Formate wie „It’s a Mass“, das den Finger in die Wunden legt. Wenn es dann auch noch unter der Regie von Kerstin Steeb so unterhaltsam umgesetzt wird, umso besser. Birgit Schmalmack vom 2.6.23
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It's a mass, Kampnagel Fabian Hammerl
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