Ein Gedankenexperiment: Wenn der Mensch einfach mal für einige Zeit von der Erdoberfläche verschwinden würde, könnte sich dann die Natur so weit erholen, dass ein Weiterleben auf diesem Planeten möglich wäre? Wir befinden uns im Jahre 2030 in Australien. Dürren, Feuerbrünste und Überschwemmungen sind an der Tagesordnung. Rettung scheint nur auf einem anderen Planeten denkbar zu sein, zumindest für die Menschen. Doch der Mars ist weit weg und schwer zu erreichen. Da erscheint eine andere Lösung viel kostengünstiger und nahe liegender. Wie wäre es, der Erde einmal eine Ruhepause von den Menschen zu gönnen, damit sie sich ein wenig erholen und vielleicht sogar regenerieren kann? Eine junge Referentin (Sandra Gerling) kommt auf diese Idee und der australische Ministerpräsident (Samuel Weiss) tritt mit ihr an die Öffentlichkeit. Er schafft es, die ganze Welt zum Mitmachen zu überreden. Und tatsächlich: Ein Gas zum Einatmen macht es möglich: Die Menschheit fällt genau für ein Jahr in den "Winterschlaf". Die Pflanzen und die Tiere übernehmen während diese in ihren Betten ruhen das Regiment. Das Jahr geht vorbei, nicht ohne Todesopfer. Naturkatastrophen und wildernde Tiere, denen keinerlei Menschen Einhalt gebieten können, sorgen für Schäden. Doch die Politik beruhigt: Die Klimaveränderung hätten für höhere gesorgt. Schon bald kommt die Idee auf, diesen "Langen Schlaf" nun regelmäßig durchzuführen. Alle zehn Jahre ist der propagierte Plan. Die Menschheit kann wie bisher weitermachen, braucht ihren Lebensstil nicht zu ändern, muss sich nur alle zehn Jahre in ihr Bett zurückziehen. Der australische Autor Finegan Kruckemeyer spielt dieses Gedankenexperiment in seinem Stück genau durch. Die Phase der Planung, die der Durchführung und die der Reflektion danach. Der Text beamt sich in ausgewählte Spots auf dieser Welt in den jeweiligen Lebensalltag der Menschen hinein und zeigt, wie diese Personen auf das Schlafjahr reagieren. Wie eine alte Frau (Josef Ostendorf) nach diesem Jahr völlig degeneriert im Rollstuhl sitzt. Wie ein kleines Mädchen mit sechs einschläft und als Siebenjährige wieder aufwacht. Wie ein Polizist (Daniel Hoevels) in Bogota nach dem Jahr mit umso größerer Armut und Kriminalität auf den Straßen zu kämpfen hat als zuvor. Wie ein Elternpaar in Lagos einen ihrer Söhne verliert, weil eine schon ausgestorbene Raubtierart zurückgekommen ist. Auch für die mittlere Phase gibt es Zeugen: Zwei Menschen (Mehmet Ateşçi und Lina Beckmann), können in Australien nicht einschlafen. Sie haben im Zuge einer Transplantation eine künstliche Lunge erhalten, die auf das Gas nicht reagiert. Ohne Kontakt zu anderen Menschen verwildern sie völlig und bedienen sich an allem, was sie in den Häusern der schlafenden Menschen vorfinden. Als sie aufeinander treffen, fallen sie wie Tiere übereinander her. Regisseur Philip Stölzl inszeniert den spannenden, höchst aktuellen Text ganz nah am Stoff. In fünf realistisch dekorierten, fahrbaren Kuben arrangiert er die verschiedenen Orte des Geschehens, blendet sich hinein und wieder hinaus und gibt so schlaglichtartig Einblicke in die jeweiligen Entwicklungen vor Ort. Stölzl ist weit davon entfernt Regietheater zu betreiben. Er stellt sich vielmehr in den Dienst des Inhalts. Das Gedankenexperiment wird auf der Bühne so sehr konsequent und gut nachvollziehbar durchgespielt. Das hat in diesen von Krisen geschüttelten Zeiten als anregender Versuch, der sich auf neue Denk-Gefilde wagt, auch auf Staatstheatern seine absolute Daseins-Berechtigung. Wenn er so professionell und stringent umgesetzt wird wie hier, ist der Vorwurf, dass es sich nicht um große, hehre Kunst handeln würde, vielleicht richtig aber dennoch völlig überflüssig. Birgit Schmalmack vom 22.2.23
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Der lange Schlaf, DSH Knut Koops
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