Gleich zu Beginn in deutlichen großen Lettern die Botschaft des Abends. Damit es auch jeder versteht, sowohl auf Deutsch wie auf Englisch: "Wenn wir weiter die Natur misshandeln, wird sie kollabieren, und wir mit ihr." Genau deswegen hat Katie Mitchell in ihrer Inszenierung nach Tschechow den Titel gebenden "Kirschgarten" in den Mittelpunkt gestellt. Die Menschen, die ihn von Zeit zu Zeit betreten, rücken vollkommen in den Hintergrund. Sie sind in die dienende Rolle versetzt worden, um dem Kirschgarten zu noch glamouröserem Auftritt zu verhelfen. Sie verschwinden in einer der zwei Aufnahmekabinen, um wenige Sätze beizusteuern bzw. den Kirschgarten zu vertonen. So wechseln die Schauspieler:innen dort ständig zwischen ihren Aufgaben als Soundmacher:innen bzw. Sprecher:innen hin und her, stets auf ihre Monitore blickend oder das Textbuch fest in der Hand. In der zweiten Soundkabine hat sich ein Streicherquartett niedergelassen, dass den raunenden Soundtrack in Dauerberieselung einspielt. Doch die Hauptrolle haben die Naturaufnahmen des Kirschgarten in High Definition Qualität im Lauf durch die Jahreszeiten. Ungefähr die Hälfte der Bühnenzeit gehört den idyllisch schönen Nahaufnahmen des Biotops, das sich zwischen den Kirschblüten ganz zuhause fühlt. Noch! Denn wie im Original bei Tschechow wird die Geldgier der Gartenbesitzer die Bäume fällen, um dort Platz für mehr Gewinn bringende Ferienhäuser zu schaffen. Mitchell lässt die Menschen in ihrer Geschäftigkeit in ihren Kabinen herumwuseln, dreht ihnen aber oft den Saft ab. Dann werden ihre Stimmen zu einem dumpfen Grundgeräusch und die Natur kann wieder sprechen. Das ist in seiner perfekt getimten Abspulung alles ungeheuer beeindruckend. Nach kurzer Zeit ist jedoch Mitchells Absicht für diesen Abend klar. Das lächerliche unwichtige Gehabe der Menschen steht einer überaus prächtigen Natur gegenüber. Als dann die Motorsägen angeworfen werden und die Bäume fallen, wird der Frevel überdeutlich. Hier wird die eigentliche Krone der Schöpfung vernichtet. Doch dabei hört Mitchell nicht auf. Schließlich bieten die filmischen Mittel, die sie in ihren Theaterinszenierungen stets mit einsetzt, die Möglichkeit des Rewinds. Mal in überhöhter Geschwindigkeit, mal in Slomo lässt sie nun nicht nur die Filmaufnahmen sondern auch die Schauspieler:innen und die Musiker:innen im Geschehen rückwärtslaufen. Auch das in einer ungeheuren Präzision. Bis wir wieder bei den warnenden Anfangsworten landen. Spätestens jetzt in diesem zweiten Teil wird dieses gut gemeinte Unterfangen mit seinen klaren Botschaft so vorhersehbar, dass sich gewisse Ermüdungserscheinungen nicht vermeiden lassen. So beeindruckt zwar der mutige konsequente performative Ansatz der Regisseurin, schränkt aber den Freiraum der Kunst, der eigentlich das eigene Nachdenken beflügeln soll, eher ein als ihn zu erweitern. Dennoch muss man Mitchell natürlich zustimmen: Die Zeit für die langatmigen Selbstinszenierungen der Menschen ist vorbei. Jetzt sollten wir der Natur zuhören. Ob dafür allerdings das Theater der geeignete Raum ist, darf nach diesem Experiment bezweifelt werden. Dazu fährt man im Frühling lieber direkt ins Alte Land und legt sich auf eine Kirschblütenwiese. Wenn dieses Stück einzelne dazu angeregt haben sollte, hat es vielleicht seinen Zweck erfüllt. Birgit Schmalmack vom 10.12.22
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