Eine Frau ganz alleine auf der Bühne, in ihren Bewegungen ebenso ganz bei sich und nah auf dem Boden der Tatsachen ist. Erdverbunden und dem Rituellen gegenüber offen, bezieht sie Position zwischen Selbstvergewisserung und Traditionsbewusstheit. Selbstbewusst wirkt sie, ganz nah bei ihren Emotionen. Immer wieder scheint sie ihre Hände zu waschen, sich zu reinigen, dann in wiegenden Bewegungen ihre Hüften zu schwingen oder in weit ausholenden Schwüngen zu kreisen. Das Vertikale und das Horizontale schließen sich hier nicht aus. Das ist kennzeichnend für die Arbeit von Dada Masilo, die hier in ihrer eigenen Choreographie The Sacrifice in der Hauptrolle auf der Bühne steht. Es geht um eine Neuinterpretation von Igor Strawinskys und Vaslav Nijinskys Le sacre du printemps. Auf der Bühnenrückwand ist eine Projektion zu sehen: kahle schwarze Äste und Zweige vor hellen Hintergrund, die fast unmerklich immer stärker und dicker werden. Nur werden diese Zweige bis zum Schluss kein einziges Blatt hervor bringen. Der Frühling bleibt hier aus. Neben der Bühne sitzen die vier Live-Musiker, die Zitate aus der Originalmusik mit afrikanischen Instrumenten und Rhythmen innovativ anreichern. Genau das ist auch das Motto für Choreographie mit den insgesamt elf Tänzern. Masilo mischt dazu klassisches Ballet mit Tswana, dem traditionellen Tanz aus Botswana. Doch hier ist die Frau nicht das still leidende Opfer. Masilo erzählt die Geschichte in einem neuen Kontext. Es geht um das Miteinander in der Gruppe, mit der vor Kraft strotzenden einzelnen Frau in deren Mitte. Bei Masilo ist die Opfergeschichte der sich zu Tode tanzenden Frau nicht das eines einsamen fremdbestimmten Todes sondern ein Ritual, das in eine Gemeinschaft eingebettet stattfindet. Im ersten Teil formt sich diese Gemeinschaft mit lauten Schreien und rhythmischem Stampfen, mit einem akzentuierten Klatschkonzert und in fremder Sprache gemurmelten Beschwörungsformeln. Im ruhigeren zweiten Teil wird die Frau von Männer in weißen langen Hosen und mit nacktem Oberkörper umringt. Langsam wird auch ihr klar, dass ihr Ende vorherbestimmt ist. Noch wehrt sie sich gegen diese Vorsehung. Doch als die Sängerin Ann Masina wie eine beschützende Mutter sich in der letzten Szene zu ihr gesellt, überlässt sie sich ihrem Schicksal und lässt sich von ihrer Mutter in das Reich des Todes hinübergeleiten. Wie Masina das in Oktaven übergreifenden Arien intoniert, ist herzergreifend, beschwörend, beruhigend und aufwühlend zugleich. Das Publikum in der bis auf den letzten Platz gefüllten K6 zeigt sich bei dem Gastspiel zum 40jährigen Jubiläum der Kampnagel-Hallen absolut begeistert und feierte die Tänzer:innen mit jubelndem Applaus. Birgit Schmalmack vom 3.10.22
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Sacrifice, Kampnagel John Hogg
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