Das Ziel klar im Fokus, die Hindernisse als Herausforderungen sehen, das Scheitern als Chance erkennen, um die eigenen Grenzen zu verschieben. Die Sportlerin (Anne-Mareike Hess) kennt die Selbstbeschwörungsformel der Eigenoptimierung sehr genau. Sie sprudelt sie ins Mikro. Worthülse reiht sich an Worthülse, um sich zu überzeugen, dass die Anstrengung zum Erfolg führen muss. Niederlagen werden schnell umgedeutet, um die Motivationskurve nicht absinken zu lassen. Angespornt wird sie von der Schlagzeugerin (Eva Klesse), und zwar nicht nur mit ihrem treibenden Rhythmus sondern auch mit ihren lakonisch eingestreuten Motivationslogans. Sobald der Sportlerin die Worte auszugehen scheinen, kann ihre Sparringspartnerin sofort einspringen. Auch ihr sind die Coaching-Sprüche wohl vertraut und sie kann sie bei Bedarf servieren. Dann setzt die Sportlerin zum Sprint an. Sie stellt sich auf die Laufbahn und geht in Startposition. Nun ist der Moment gekommen auf den sie die ganze Zeit hingearbeitet hat. Jetzt gilt es die Höchstleistung abzurufen. Hektisches Zucken, Lockerungsübungen, Anspannung der Muskeln, volle Konzentration, tausendfach einstudierte Abläufe. Routine, gepaart mit einer ganz auf den Moment ausgerichteten Aufmerksamkeit, diesen Widerspruch gilt es aufzulösen. Adrenalin pur. Wenn dann alles stimmt und die Zielgerade vor allen anderen Konkurrentinnen gerissen wird, scheint die Freude so übermächtig, dass der Erfolg einem Überwinden der Schwerkraft gleicht. Folgerichtig springt die Sportlerin auf das Trampolin und fliegt durch den Bühnenraum. Schwerelos scheint sie sich zu fühlen. Sie ist größer als andere Konkurentinnen und sie schwebt in höheren Sphären. Doch im Sieg liegt schon die Ahnung der folgenden Niederlage. Die reißt zu Boden, sie drückt hernieder und führt die Begrenztheit des Menschen wieder deutlich vor Augen. Vom schwebenden Glücksgefühl keine Spur mehr. Jetzt lässt die Schwere des Desillusionierung auf die Wirklichkeit aufprallen und alle Körperteile erzittern. Am Boden zerstört scheint der strahlende Karriere. Aller Verzicht, aller Schmerz umsonst? Der Weg einer Leistungssportlerin wird in der dritten Arbeit "Perform" von Antje Velsinger zum Oberthema des Körpers im Kapitalismus zur Metapher für eine Leistungsgesellschaft, in der der Individuum für seinem Erfolg selbst verantwortlich gemacht wird. Leistung sei nur eine Frage des ernsthaften Wollens, so wird allerorten gepredigt. Wer es nicht schafft, hat nur nicht hart genug an sich gearbeitet. Wie die Kurven zwischen Training, Sieg, Niederlage in einem stetigen Auf und Ab taumeln, macht die Choreographin mit ihren beiden exzellenten Performerinnen deutlich nachfühlbar. Wunderbar gelingt es ihr durch die wundersamen Bilder, die die Videokünstlerin Ayla Pierrot Arendt dafür findet. eine weitere künstlerische Ebene einzuziehen. Da schwebt die Sportlerin wie ein gefallender Engel durch den Raum oder stürzt sich mit dem Motoradhelm auf dem Kopf todesmutig in die nächste Herausforderung, Das letzte Bild ist jedoch besonders berührend: goldene Pumps in Großaufnahme. Eine Frau versucht zu laufen. Weil beide Absätze abgebrochen sind, muss sie sich mit ihren golden behandschuhten Händen ungelenk abstützen, um wenigstens nicht umzufallen. Ein hilfloses Unterfangen. Ein Bild der Vergeblichkeit. Eine in jeder Hinsicht interessante Arbeit, nicht nur im Hinblick auf den gut recherchierten Inhalt, das kontrastierende Zusammenspiel der beiden Akteurinnen, sondern auch auf die präzise ausgewählten Mittel der Bewegungen, der Bilder und der Musik, die insgesamt Denkräume außerhalb des Gesehenen aufmachten. Birgit Schmalmack vom 21.9.21
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Hüter der Freiheit Christian Eldagsen
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