Wie geht es den Theaterschaffenden in Berlin?

"In Berlin können wir nicht meckern"


Im Oktober letzten Jahres gaben etliche Theaterschaffende aus Berlin einen Einblick in ihre damalige Situation. Jetzt fast ein dreiviertel Jahr später, ist es Zeit für einen weiteren Zwischenstand.
Die Schauspielerin und Regisseurin Mareile Metzner ist sofort zu einem ausführlichen Telefonat bereit. Am Schluss unseres letzten Gespräches hatte sie ihre Sorgen geäußert, ob den Bestand der reichen Kulturszene in Deutschland nicht gefährdet sei. Jetzt klingt sie zuversichtlicher: "In Berlin können wir nicht meckern", so drückt es Mareile aus. „Lederer kämpft wie ein Löwe für uns Künstler:innen." Der Senat hätte versucht viele der Probleme, Unsicherheiten und Unplanbarkeiten für die Kulturszene abzupuffern. Die Vergabe von Arbeitsstipendien, die ohne vorherige genaue Projektspezifierung auskamen, und von großzügigen Förderungen, die speziell auf die jetzige Situation ausgerichtet waren, hätten geholfen. Bestehende schon genehmigte Projekte konnten unbürokratisch umgewidmet werden. Mittel für eine technische Ausstattung, die für hybride Formen zwischen Liveaufnahmen, Streamingformaten und Onlinekonferenzen nötig wurden, konnten beantragt werden. Mareile hatte Glück: Sie hatte im November eines der Arbeitsstipendien, die unter den Kunstschaffenden verlost wurden, erhalten.
Außerdem entschied sie sich, ihre Theater-Seminare an der Uni Saarbrücken online weiterzuführen. "Das hat erstaunlich gut funktioniert." Doch nun bemerkt sie an sich ein Phänomen: "Das Theater lebt von den Erzählungen über das Leben. Wenn dieses aber so eingeschränkt wie zurzeit ist, dann gehen einem die Ideen aus. Auch die Anregung von anderen Kolleg:innen fehlt mir. Sowohl in der Zusammenarbeit an der Produktion wie auch beim Anschauen ihrer Arbeiten auf der Bühne. Die eigene Fantasie wird durch einen Hang zum Pragmatismus beschränkt. Aufgrund der Unklarheit der Entwicklungen versucht man schon im Vornherein die Produktion zu begrenzen und nur 1-2 Personen auf die Bühne zu stellen. "
Ein ganz anderes Problem tauche für sie jetzt am Horizont auf: "Für das 2. Halbjahr habe ich alles zugesagt, nun könnte der Zeitplan ziemlich eng werden."
Wagner Carvalho vom Ballhaus Naunynstraße verrät: "Bei uns ist bis zum 1.7. alles zu und wir hoffen, dass alles gut für die neue Spielzeit laufen wird. Zurzeit haben wir drei verschiednen Projekte im Ballhaus, die Proben und Premieren haben werden, sobald das Haus wieder geöffnet ist. Wir mussten ein paar Projekte absagen, abbrechen und ins Jahr 2022 verschieben. Die Mehrheit der Kolleg:innen sind im Homeoffice. Kurzarbeit haben wir bis heute nicht eingeführt. Ein paar Kolleg:innen
wurden mit einer oder zwei Impfung-Dosis gegen Corona geimpft und keine:r ist zum Glück (bis jetzt) an dem Virus erkrankt."
Die freie Schauspielerin Bridge Markland drückt es so aus: "Mir geht's gut, ich habe sehr viel zu tun. Alle Förderungen, die ich bekam, greifen und ich arbeite froh. Zum einen an meinem neuen Stück, 'Nathan in the box', für das ich Förderungen erhielt. Zeitgleich bereite ich mit anderen Künstler:innen ein großes, internationales Drag-Festival im nächsten Jahr in Berlin vor. Zudem habe ich einen Zusatzjob beim LAFT, dem Landesverband freie darstellende Künste Berlin, als technische Betreuerin für Online Workshops angeboten bekommen, der für regelmäßiges zusätzliches Geld sorgt." Auch Bridge erkennt eine Schwierigkeit für das nächste Jahr: "Viele Bühnen haben ihre Produktionen, die ausfallen mussten, nach hinten verschoben. Wenn du dort nach freien Terminen anfragst, bekommt du häufig zu hören, dass alles ausgebucht sei." So blickt sie ein wenig bedenklich auf das Jahr 22. „Doch eigentlich war das bei mir fast immer so. Und dann hat sich stets doch etwas ergeben.“
Daniel Brunet, der Leiter des English Theatre kann als gebürtiger Amerikaner auch den Vergleich mit den USA ziehen: "Dort haben selbst große, reiche Bühnen alle ihre Mitarbeiter:innen einfach nach Hause geschickt. Nach wenigen Monaten erhielten sie kein Geld mehr und verloren damit auch ihre Krankenversicherung. Und das in einer Pandemie!" Er ist überzeugt: "In Deutschland werden die meisten Theater überleben. Allerdings haben es die Häuser, die bisher keine Projekt- oder Konzeptförderung von der Stadt erhalten haben, sehr schwer. Da kenne ich welche, die jetzt Corona-Tests anbieten, um über die Runden zu kommen." Für sein Haus resümiert er die finanzielle Lage so: "Mit unserem Grundförderungsbetrag, mit den bewilligten und ausgezahlten Projektfördersummen, mit den Hilfepaketen konnte ich die letzte Saison ohne ein Minus abschließen. Und das auch ohne die Einnahmen aus dem Kartenverkauf." Geholfen hätte auch, dass sie Innerhalb seines Teams schon zu Beginn eine Kürzung ihrer Bezüge um 15% vereinbart hätten.
Nun arbeitet er an seiner nächsten Produktion. Zunächst noch doppelgleisig. "Es wäre toll, wenn am 1.7. zur Premiere wieder Zuschauer:innen erlaubt wären." "Islands" heißt das neue Stück und widmet sich Fragen, die während einer Pandemie an besonderer Bedeutung gewinnen. Wie stark sind wir von Austausch abhängig? Wie funktioniert ein Leben in der Abschottung? Welche Bedeutung haben Inseln, in denen versucht wird, die Vergangenheit zu konservieren, in einer vernetzten Welt?
Keiner von den Befragten kann auf Anhieb jemanden nennen, der als Vollzeitkünstler:in umsatteln musste. Die Filmemacherin Patricia Bateira bestätigt: "Auch freie Kunstschaffende, die zumindest 80% ihres Einkommen aus Kunstprojekten verdienen, konnten die November- und Dezemberhilfen beantragen. Das hat unglaublich geholfen." Brunet ergänzt dazu: "Wenn man nur auf die Seite von 'TakeAction' schaut, sind die Möglichkeiten der Unterstützungsangebote riesengroß. Nach meiner Berechnung haben sich die bereitgestellten Beträge für die Freie Szene für dieses Jahr verzehnfacht."
Zum Schluss fasst Mareile Metzner es so zusammen:
"In Berlin hat viel geklappt. Wir können zufrieden sein. Über die Netzwerke bekam man die Information zu den Unterstützungen und die Hilfestellung, wie man an die zusätzlichen Gelder kam." Etwas nachdenklich merkt sie an: "Allerdings muss man dazu Teil des Netzwerkes sein. Sonst wird es schwierig."
Birgit Schmalmack vom 25.5.21


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