Kuffar, DT

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Kuffar. Die Gottesleugner

Wenn die Kommunikation abbricht
Hakan (Christoph Franken) hat seinen Job als Arzt verloren. Seine Ehe ist zerbrochen und er ist wieder bei seinen Eltern eingezogen. Sie waren vor 1980 in der Türkei linke Freiheitskämpfer, doch der Vater (jung: İsmail Deniz) wollte kurz vor dem Putsch nach Deutschland auswandern um ihrem Sohn ein Leben in Frieden und Freiheit zu ermöglichen. So überredete er seine Frau (jung: Vadina Popov) zu fliehen. Hakan leistet nun auf seine Art Widerstand gegen das System. Doch er rebelliert damit nicht nur gegen die Gesellschaft in Deutschland sondern auch gegen seine areligiösen Eltern. Er findet zum Islam, den ihm seine Eltern vorenthalten haben. Er wird zu Abu Ibrahim und gründet auf Youtube einen Erwecker-Kanal, der immer mehr Follower hat, je radikaler seine Ansichten werden. Seine Eltern scheitern bei ihrem Versuch ihren Sohn zu erreichen. Während seine Mutter (älter: Almut Zilcher) noch um Verständnis und Gespräche ringt, hat der Vater (älter: Harald Baumgartner) die Kommunikation schon längst abgebrochen. Zu sehr kränkt die Abwendung seines Sohn von den Werten, für die er gerade seinetwegen nach Deutschland emigriert ist.
Regisseur und Autor Nuran David Calis hat ein Stück über die Radikalisierung eines gar nicht mehr so jungen Mannes der zweiten Generation geschrieben. Er zeigt einen Ungehaltenen, der in seiner Wut über die Verhältnisse, die Ungerechtigkeiten und die Amoral in der Gesellschaft zu radikaler Haltungen findet und jeden Kontakt mit der ersten Generation unterbindet.
Die Gestaltung der Drehbühne (Anne Ehrlich) sagt viel aus: Sie besteht aus einer weißen Wand, in ein Tisch und zwei Sitzbänke eingelassen sind. Sie ragen auf beiden Seiten je zur Hälfte heraus. Die Parteien sitzen zwar eigentlich auf denselben Bänken, können aber nicht miteinander kommunizieren. Die Wand trennt sie und damit auch ihre Gefühle und Gedanken. Sie scheinen in verschiedenen Welten zu leben, die Sicht auf die jeweils andere ist ihnen versperrt.
Auch die Besetzung interpretiert schon die Figuren: Franken ist in seiner Mutation zu einem zweiten Pierre Vogel beeindruckend. Mit seinen Eltern hat er dagegen keine Ähnlichkeit, wie auch sie nicht mit ihren Figuren in jungen Jahren. Sie sind zu Deutschen geworden und bei ihrem rotblonden blassen Sohn ahnt keiner etwas von einem MHG. Doch gerade dieser lehnt das Leben in Deutschland ab.
Zum Schluss sitzen sie alle gemeinsam auf der Bank vor der Leinwand und betrachten zusammen die Fernseh-Bilder der Putsche in der Türkei von 1960, 1980 und 2016. So finden sie in der Distanz zu ihren eigenen Rollen zu einer kurzen Gemeinsamkeit, die ihnen ansonsten verwehrt war.
Birgit Schmalmack vom 17.4.17


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