Rosebud

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Erfahrungsbrrechreiz beim Logout

„Erfahrungskotze“ steht auf dem Pappschild. Davor lehnt eine Holzplatte mit der Aufschrift „Logout“. Felix Kramer hat sich einer Fastenkur unterzogen. Er hat auf alle Medien verzichtet. Auf der MS Bleichen bricht er live sein Fasten. Das Publikum darf mitverfolgen, welche schwerwiegenden Konsequenzen das hat.
Felix Kramer ist kaum wieder zu erkennen. In einen mausgrauen Regenumhang gehüllt, wirkt er wie ein Eremit. Ungewaschene, lange Haarsträhnen ragen unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze hervor. Die Augen bedeckt eine Tauchbrille. In seiner entbehrungsreichen Zeit hat er anscheinend jeder Kommunikation entsagt. Wie ein Maulwurf, der tief in den Urgründen seiner unbeschallten Seele kramt, wirkt er. Das scheint seiner Stimmung insgesamt nicht gut getan zu haben. Seine Äußerungen, die er zunächst von sich gibt, sind einsilbig. Meist lässt er andere für sich von Konserve sprechen. Medieneinsatz ist wieder erlaubt und wird eifrig genutzt. Meist sind alle Geräte gleichzeitig in Betrieb: CD-Player, Video-Player, Kassettenrekorder, Fernseher. Geschichten von toten, einarmigen Kindern, Hörspielen von Naturerkundungen und Klagen über die Philosophiearmut dieser Zeit sind zu hören. Letztere wird nur zu verständlich, wenn man bedenkt, wie die Medienbeschallung den Gedankenfluss zerhacken kann. So bleiben konsequenterweise auch in Felix Kramers Performance nur Bruchstücke von Gedankengängen übrig.
Zum Schluss schlägt er in die „Logout“-Holzplatte mit Mühe ein Loch, damit der in einem Einmachglas gefangener Goldfisch einen Ausblick in seine Zukunft nehmen kann. Die soll sogleich beginnen und so steigen alle Zuschauer mit Kramer an Deck und entlassen den Fisch in die Elbe. Eine Chance auf Freiheit hat er gehabt.
Der gesundheitsfördernde Effekt von Fastenkuren sei allgemein sehr umstritten, hatte die Organisatorin des Festivals „Wahrschau“ auf der MS Bleichen Freifrau von Schulz zu Beginn angemerkt. Zumindest in Bezug aufs Medienfasten unterstützt Kramer die Fraktion der Skeptiker mit seinem Selbstversuch. Ein Mehr an Gelassenheit, Sinnhaltigkeit und Glück war an dem Probanten Kramer nicht zu beobachten.
Birgit Schmalmack vom 3.8.11


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