J'accuse, Schauspielhaus

Ich klage an


Das Jammern ist in Mode gekommen. Das Wehklagen , das Beschweren, das Wütend Sein. Immer und überall ist schließlich die Bewertung, die Meinung, das Feedback gefragt. Doch das Anklagen ohne die entsprechende Verantwortung für die Veränderung der Umstände zu übernehmen ist selbstgerecht und pubertär. Diesen bunt bemalten Vulkan der wütenden und selbstgefälligen Empörung erklimmen nun im Schauspielhaus fünf Frauen. Zunächst scheinen sie in einem Vergnügungspark angekommen zu sein und fordern vehement ihr Recht auf Unterhaltung und Abenteuer im Gegenzug zu den gezahlten Dollars ein. Doch bald wird klar, es geht um mehr und anderes. Schießen die Fünf zunächst mit ihren Revolvern in Wild Western Manier noch auf menschenähnliche Roboter-Spielfiguren, so entpuppen sich diese unvermittelt als Festangestellte, die von den Gästen im Ensemble erschossen werden. Doch sind sie nicht alle die gleichen Schießbudenfiguren in einem Unternehmen, das sich nie auf dem freien Markt behaupten könnte? Sind sie nicht alle hoch subventionierte Verlierer, die sich auch noch für systemrelevant halten, aber genau wissen, dass sie nur für ihre eigene Bubble auftreten?
René Pollesch hat mit diesem kleinen 90-Minüter dem feinen Kunst- und Kulturbetrieb ganz elegant den Spiegel vorgehalten. Wenn dann auch noch eine leibhaftige Kuh auf die Bühne geführt wird und den Schauspieler:innen fast die Show stielt, ist endgültig klar: Der Marktplatz der Eitelkeiten, der Selbstvergewisserung, der vermeintlichen Aufregung ist nicht mehr so aufregend wie gedacht. Hinter dem Vulkan, der einzig weißen Theaternebel ausspuckt, ist auf der Rückseite nur hohles Gestänge zu sehen. Alles nur Schein! Hat man vielleicht schon mal irgendwo gehört und gesehen. Ganz neu ist Pollesch Verwurstelungsspiel mit intellektuellen Versatzstücken nicht mehr, auch wenn er wie stets geschickt Anklänge an aktuelle Diskussionen mit einzuweben versteht. Jede der Zuschauer:innen wird in dieser intelligenten Mixtur etwas Bedenkenswertes entdecken können. Und wenn zudem eine Sophie Rois mit auf der Bühne steht, kann der Text eh leicht zur Nebensache werden.
Birgit Schmalmack vom 22.11.21


(C) 2006 - Alle Rechte vorbehalten

Diese Seite drucken