Herzlich willkommen, Altonaer Theater

Herzlich willkommen, Altonaer Theater

Deutsche Geschichte, auf der Bühne erzählt

Walter Kempowski (Johan Richter) ist wieder in Hamburg. Acht Jahre Lagerhaft im russischen Sektor liegen hinter ihm. Er hatte Briefe in den amerikanischen Sektor geschmuggelt, die belegen sollten, dass die Russen mehr demontieren als ihnen eigentlich zustand. Er wurde von den Russen wegen Spionage verurteilt.
Der Bühnenhimmel hängt voller Wäschestücke, doch sie sind unerreichbar. Erst ganz zum Schluss werden sie herabgesenkt und dürfen von den Bügeln genommen werden. Bis dahin wird Walter die ganze Geschichte seines Abkommens in der neu gegründeten BRD geschildert haben. Eine der Hauptrollen spielte dabei seine Mutter (Katrin Gerken), die aufgrund seiner Straftat ebenfalls ins Gefängnis kam, obwohl sie völlig unschuldig war. Auch sein Bruder Robert wird mit ihm verhaftet und muss noch im Lager bleiben, als Walter schon seine Entlassungspapiere erhalten hat.
Was anfangen mit der Freiheit in einem Deutschland, das den Krieg verloren und aufgeteilt ist? Walter wird zwar überall "herzlich willkommen" geheißen, doch angekommen fühlt er sich nicht. Die zahlreichen Ämter, auf die er in Hamburg gehen muss, verursachen bei ihm zunächst nur vermehrten Harndrang. Auch die zahlreichen Jobangebote passen ihm nur bedingt. Und der Kontakt zu Frauen gestaltet sich zunächst schwierig. Erst das Treffen auf seine spätere Frau und das Pädagogikstudium in Göttingen lassen ihn richtig ankommen.
Die Inszenierung von Walter Kempowskis Romanzyklus "Deutsche Chronik" im Altonaer Theater in vier Teilen legt den Fokus klar auf die inhaltliche Ebene. Sie will die Geschichte von Walter, seiner Familie und Deutschlands von der Zeit vor dem ersten Weltkrieg bis zur Gründung der BRD erzählen. Sehr kurze, klug gekürzte und ineinander geschnittene Szenen, die oft aus wenigen Sätzen bestehen, machen den Verlauf deutlich. Rasant wechseln die wenigen Schauspieler im Einheitsbühnenbild die Rollen und Zeitebenen. Das ist lebendiger Geschichtsunterricht, der hier auf der Bühne seinen großen Bogen entfaltet. In bester Handwerkskunst mit genauem Sinn für Atmosphäre, Anekdoten und Timing führt Regisseur Axel Schneider sein perfekt aufeinander eingespieltes Ensemble, um die Geschichte Deutschlands im zurückliegenden Jahrhundert lebendig werden zu lassen.
Birgit Schmalmack vom 1.5.19


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